Markus Beier, Leitender Geschäftsführer IHK Region Stuttgart, Bezirkskammer Rems-Murr, spricht über den Fachkräftemangel und was zu tun ist.

Rems-Murr: Simone Käser (sk)

Herr Beier, Fachkräftemangel ist allgegenwärtig. Es fällt teils der Begriff „Akademisierungswahn“. Brauchen Ausbildungsberufe mehr Anerkennung, um attraktiv zu sein?

 

Gerade bei Eltern herrscht oft die Überzeugung vor, dass ein Studium für beruflichen Erfolg und gutes Einkommen quasi Grundvoraussetzung sei. Dabei haben Jugendliche mit dualer Ausbildung heute beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt und sämtliche Aufstiegschancen bis hin zur Promotion. Im Auftrag der baden-württembergischen IHKs hat das Tübinger IAW-Institut in einer Studie nachgewiesen, dass das Lebenseinkommen von Personen mit Studium im Vergleich zu Menschen mit Ausbildung und Zusatzqualifikation praktisch gleich hoch ist.

Jungen Leuten ist Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit immer wichtiger. Was müsste sich in den Branchen ändern und künftigen Azubis geboten werden, um darauf einzugehen?

Der größere Stellenwert von Familie und Freizeit, also die Ausgewogenheit zwischen Beruf und Privatleben, hat tatsächlich stark zugenommen. Nun lebt eine Ausbildung aber vom Kontakt mit Kunden, Kollegen und Geschäftspartnern und kann meist nicht besonders gut aus dem Homeoffice geleistet werden. Viel wichtiger ist es, die Jugendlichen zu begeistern von ihrer Aufgabe und viel Feedback zu geben. Früh Verantwortung zu übernehmen motiviert. Und über europäische Förderprogramme besteht sogar die Möglichkeit, als Azubi ins Ausland zu gehen.

Viele machen Corona dafür verantwortlich, dass sich die Probleme am Arbeitsmarkt so verstärkt haben. Doch ist die Entwicklung nicht schon viel früher absehbar gewesen und was hätte seitens der Politik getan werden müssen?

Die Pandemie hat teils wie ein Katalysator gewirkt. Nehmen Sie die stärkere Hinwendung zu Familie und Freizeit. Demografische Entwicklungen sind ja in der Regel gut vorhersehbar, insofern ist es auch keine Überraschung, dass Menschen aus der Baby-boomer-Generation jetzt nach und nach in Rente gehen und den bestehenden Mangel noch vergrößern. Auch Entscheidungen der Politik, wie die Rente mit 63, tragen hierzu bei. Deshalb war und ist es so immens wichtig, vorhandene Hürden für mehr Beschäftigung zugewanderter Menschen abzubauen, die Hinzuverdienstgrenzen von Ruheständlern zu vereinfachen oder auch das Arbeitszeitgesetz an die neuen Realitäten anzupassen.

Der Fachkräftemangel wird sich laut Prognosen bis 2035 dramatisch zuspitzen. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein und was könnte getan werden?

Laut den Zahlen unseres Fachkräftemonitors wird die Lücke, nur für die Region Stuttgart, bis 2035 tatsächlich auf über 250 000 anwachsen; für Baden-Württemberg auf über 900 000. Derzeit sind wir bei rund 40 000 in der Region. Ich glaube, wir müssen uns dieser Realität stellen. Das kann nur in einem Mix aus Maßnahmen gelingen. Die Digitalisierung wird eine ganz wesentliche Rolle spielen. Ein Megathema ist unsere Bürokratie, die in praktisch allen Bereichen enorm viel Manpower bindet. Neben der gezielten Zuwanderung müssen Arbeitgeber auch der Weiterbildung und Höherqualifizierung mehr Aufmerksamkeit schenken.