Die IHK entscheidet in wenigen Tagen über den Verkauf ihrer alten Zentrale an der Jägerstraße an die Deutsche Bahn, die das Gebäude abreißen möchte. Wieder einmal flammt eine Diskussion auf über den Wert der Architektur der 1950er-Jahre.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Mit Stolz hat die IHK Region Stuttgart vor kurzem ihre neue Zentrale an der Jägerstraße, in Sichtweite des Hauptbahnhofes, vorgestellt – das Haus öffnet sich in wundervoller Weise zu den dahinter liegenden Weinbergen hin. Nicht ganz so redselig sind die Verantwortlichen der IHK, wenn es um das Nachbargebäude geht: Der 1956 vom bekannten Architekten Hans Volkart (Planer des Kleinen Hauses) erbaute frühere Firmensitz der Süddeutschen Treuhand AG stand bis vor gut drei Jahren unter Denkmalschutz. Nun könnte die IHK, die lange Jahre dort untergebracht war, die Immobilie an die Deutsche Bahn verkaufen. Die Bahn hat, da darunter ein Stuttgart-21-Tunnel verlaufen soll, nur eine Verwendung für das Haus: den Abriss.

 

Die Geschichte hat viele Wendungen. Am Anfang stand 2009 die Entscheidung der IHK, an bisheriger Stelle einen Neubau zu wagen; alle Gebäudeteile außer dem denkmalgeschützten sogenannten Schitag-Haus (als Abkürzung der Schwäbischen Treuhand AG) mussten deshalb weichen. Doch auch ein Flügel des Kulturdenkmals ragte einige Meter in das Baufeld hinein; zudem wollten Stadt und IHK zwischen neuem und altem IHK-Sitz eine Sichtachse auf die Weinberge öffnen. So genehmigte die Stadt – ob gegen das Votum der Denkmalbehörde, ist nicht bekannt –, dass der Flügel beseitigt werden darf. „Wir wollten den Interessen der IHK entgegenkommen“, sagt Baubürgermeister Matthias Hahn heute: „Oder hätten wir daran den Neubau scheitern lassen sollen?“

Die Stadt Stuttgart hat den Teilabriss genehmigt

Die logische Folge war aber, dass der Schitag-Bau im Dezember 2010 ganz den Status als Kulturdenkmal verlor; zu sehr war das Gebäude durch den Teilabriss beeinträchtigt. Denn gerade die architektonische Auflösung des großen Bauvolumens in drei unterschiedliche, sich durchdringende Baukörper war ein Hauptgrund gewesen, den Bürobau mit seiner guten Einbindung in die Landschaft unter Denkmalschutz zu stellen. Die Abrissgenehmigung umfasste auch den niedrigeren Bürotrakt direkt an der Jägerstraße, der aber noch steht, wie Sven Matis, der Sprecher der Stadt Stuttgart, mitteilte. Wobei man sich fragt, weshalb dieser Teil ebenfalls beseitigt werden darf, obwohl dessen Fläche eindeutig nicht für den Neubau gebraucht wurde.

Die IHK hatte zunächst den Plan, das Gebäude zu sanieren und zu vermieten. Es seien mehrere Szenarien durchgespielt worden, sagt Andreas Richter, der Hauptgeschäftsführer der IHK. Klar sei, dass die IHK viele Millionen in den Bau investieren müsste; dabei wäre auch eine komplette Entkernung notwendig. Nun hat die Deutsche Bahn der IHK aber ein Angebot gemacht, das Gebäude zu kaufen.

Tunnel führt nur zwei Meter unter dem Gebäude hindurch

Denn unter der hinteren rechten Ecke soll der neue S-21-Tunnel nach Feuerbach und Bad Cannstatt verlaufen. Zwischen dem Fundament des Hauses und dem Beginn der Tunneldecke liegen dabei nur zwei Meter, wie ein Sprecher des Stuttgart-21-Kommunikationsbüros bestätigte. Aus diesem Grund sind gewaltige Sicherungen notwendig, damit das Gebäude seine Standfestigkeit behält: Das Fundament wird auf Kleinbohrpfähle gestellt, die durch den künftigen Tunnel hindurch in den Untergrund reichen; die Tunneldecke wird zusätzlich verstärkt, zudem wird der Boden mit Injektionen verpresst.

Wie teuer diese Maßnahmen wären, darüber schweigt sich die Bahn aus – ein Millionenbetrag sei es auf jeden Fall, so ein Sprecher. Man muss also davon ausgehen, dass es für die Bahn günstiger ist, das Haus abzureißen. Nur so ist das Angebot der Bahn an die IHK zu erklären, das zunächst bei 3,8 Millionen Euro gelegen haben soll und das jetzt nochmals nachgebessert worden ist. Am 23. Juli will die Vollversammlung der IHK beschließen, ob sie das Angebot annimmt oder nicht.

Baubürgermeister appelliert an die IHK Region Stuttgart

Andreas Richter wirbt schon jetzt um Verständnis für den Fall, dass der Verkauf – und damit der Abriss – vollzogen werden. Die Stadt habe zugestimmt, den Flügel am Schitag-Bau zu beseitigen, weil die neue Sichtachse städtebaulich interessanter sei als die alte Situation, so Richter. Und die IHK selbst müsse wirtschaftlich denken: „Es ist nicht unser Job, dem Denkmalschutz zu huldigen.“

Baubürgermeister Matthias Hahn empfiehlt der IHK dennoch, das Gebäude stehen zu lassen. Es sei doch ein sehr qualitätsvolles Haus, und die Sichtachse vom Weinberg zum Hauptbahnhof sei auch deshalb so gelungen, weil die alte und die neue IHK-Zentrale sie einrahmten. Zudem könne heute niemand sagen, was nach einem eventuellen Abriss auf dem Gelände passiert – die Gefahr einer langjährigen Brache sei groß, so Matthias Hahn.

Wie auch immer: in Kürze entscheidet sich das Schicksal des Schitag-Baus.