Ilija Trojanow: „Tausend und ein Morgen“ Aufräumarbeiten in der Vergangenheit

Ein schon etwas angejahrtes Gefährt: Rod Taylor in der Verfilmung von H.G.Wells’ Roman „Die Zeitmaschine“ Foto: imago stock&people/imago stock&people

In Ilija Trojanows neuem Roman „Tausend und ein Morgen“ machen sich Zeitreisende aus der Zukunft auf, um das ein oder andere am Lauf der Historie auszubessern. Dabei kann einiges schiefgehen.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Wenn man so will, ist jedes Buch eine Zeitmaschine, sofern es nicht gerade von der unmittelbaren Gegenwart handelt. Wobei man gleich hinzufügen kann, dass gerade Romane, die zeigen wollen, was hier und jetzt schiefläuft, immer häufiger einen Abstecher in die Zukunft unternehmen, um in düsteren Farben auszumalen, was uns erwartet, wenn alles so weitergeht. Von daher könnte es eigentlich eine gute Nachricht sein, dass in dem neuen Roman von Ilija Trojanow, „Tausend und ein Morgen“, eine glückliche Zukunft den Ausgangspunkt bildet, deren Bewohner nur noch erstaunt auf das zurückblicken können, was an anderen Stellen des raum-zeitlichen Kontinuums verbockt wurde.

 

Wenigstens gegen Ende ist das Ziel der aufklärerischen Hoffnung auf eine Entwicklung des Menschengeschlechts doch noch erreicht worden, wenn auch unter tätiger Mithilfe einer gezähmten Künstlichen Intelligenz – aber was heißt mit Blick auf das Kommende schon Ende. Die wichtigste Voraussetzung für das paradiesische Leben in einer befriedeten Welt scheint die Überwindung dessen gewesen zu sein, was man im Rückblick Kapitalozän nennt. Das Eigentum ist abgeschafft, das egozentristische Weltbild hat sich erledigt. Damit einher geht eine fortgeschrittene Genderpolitik – darauf deutet zumindest, dass das Ringen um eine geschlechtergerechte Sprache offenbar gültige Formen gefunden hat. Wenn hier von Chronautin die Rede ist, sind immer alle mitgemeint in Numerus und Geschlecht.

Aber was sind Chronautin überhaupt? Bevor man dies beantwortet, wäre vielleicht überhaupt erst einmal zu fragen, wie man sich in einer wohlbestellten Welt die Zeit vertreibt. Das alte Problem, anders als in der Hölle ist im Paradies wenig los. Deshalb vergnügen sich hier die Leute damit, wie so viele, die den Rücken frei haben: sie beschäftigen sich mit Geschichte und reisen gerne. Und weil der fortgeschrittenste Stand nicht näher beschriebener computerbasierter Simulationsverfahren erlaubt, beides zusammenzuführen, reisen sie eben durch die Zeit, um im Chaos der Vergangenheit für etwas Ordnung zu sorgen.

Eine dieser Zeitreisenden – Chronautinnen, wie man unter noch kapitalozänen Sprachgegebenheiten wohl sagen würde – ist Cya. Aus der schönen neuen Welt, in der niemand hungert, macht sie sich auf an ausgewählte Schauplätze der alten, dem sogenannten „Damalsdort“. Zugegeben ist das alles sehr vereinfacht. Aber je weiter man durch das Wurmloch des Erzählens in den Kaninchenbau der Zeit eindringt, desto unübersichtlicher wird es, desto mehr klammert man sich an das, was man zu verstehen glaubt.

Die Verschönerung der Geschichte ist schwieriger als gedacht

Die erste Station ist die Karibik des 18. Jahrhunderts – hätte ein Zusammenschluss von Sklaven und Piraten eine neue Ordnung jenseits Repression schaffen können? In engste zeitliche Nähe zum Heute führt ein Trip nach Indien, wo sich der Konflikt zwischen Hindus und Moslems zuspitzt – was, wenn es gelänge, dass alle Glaubensrichtungen eine Einheit bildeten? Während der Olympischen Spiele in Sarajewo gilt es einen Krieg zu verhindern. Und welche Folgen hätte ein Attentat auf den „Neuen Zaren“ für den weiteren Verlauf der russischen Oktoberrevolution spielen können?

Welche Freibeuter-Geschichten könnten hier darin stecken, um damit die Frist zu überbrücken bis der Morgen einer neuen Zeit anbricht. Dass es anders kommt, liegt nicht daran, dass sich die Geschichtsverschönerungskunst schwieriger gestaltet als gedacht; dass auch der Homo novus nicht immun dagegen ist, sich am Überwundenen zu infizieren; dass man keine wirklich verständliche Antwort auf den berechtigten Einwand erhält, was es bringen soll, am Vergangenen rumzuschrauben, wo sich hier daraus doch eine ganz brauchbare Zukunft entwickelt haben soll.

Woran diese Zeitreisenden stranden ist trotz aller Action-Effekte und Abenteuer-Appelle schlicht – Langeweile. Kurzzeitig mag ein Reiz darin liegen, über das Scharnier von Spiegelsätzen von einer Realität in die andere wechseln zu können. Auch ließe sich als erzieherischer Effekt verbuchen, Lesenden aufzuzwingen, was für viele Menschen Realität ist: Sie zwischen Parallelwelten migrieren zu lassen, deren Gegebenheiten sie sich erst notdürftig zusammenreimen müssen. Aber Trojanow lässt es an jeglicher erzählerischen Willkommenskultur fehlen. Die Figuren bleiben so blutleer, dass die KI an Cyas Seite noch am lebendigsten erscheint. Aus nicht vorhandenen Spannungsbögen bröseln Einfälle, Spielereien, Kalauer und endlose Insider-Dialoge.

Man hat mit Trojanow schon manche aufregende Reisen unternommen, etwa auf den Spuren des wandlungsfähigen britischen „Weltensammlers“ Richard Francis Burton. Diese jetzt ist eine Kopfgeburt. Oder um es anders zu sagen: Die Idee ist einigermaßen klar, es hapert an der Umsetzung. Als Diagnose, woran gesellschaftliche Utopien scheitern, mag das eine brauchbare Diagnose sein. Anders sieht es aus, wenn es sich um die Beschreibung einer ästhetischen Erfahrung handelt. Und so legt man dieses Buch nach gut 500 Seiten mit einem ordentlichen Jetlag einigermaßen erschöpft aus der Hand.

Ilija Trojanow: Tausend und ein Morgen. Roman. Fischer Verlag. 528 Seiten, 30 Euro.

Info

Autor
Ilija Trojanow wurde 1965 in Bulgarien geboren; seine Familie floh 1971 nach Deutschland; seine Jugend verlebte er in Kenia. Als Verleger engagierte er sich früh für Literatur aus Afrika und dem arabischen Raum. Seit 1996 veröffentlicht er eigene Romane, etwa „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ (1996), „Der Weltensammler“ (2006) und „EisTau“ (2011).

Debatten
Trojanow ergreift immer wieder Partei in öffentlichen Debatten. 2009 veröffentlichte er gemeinsam mit der Schriftstellerkollegin Juli Zeh den Band „Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte“. Bereits 2006 erschien sein viel diskutiertes Buch „Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht – sie fließen zusammen“.

Termin
Am 21. September, 19.30 Uhr, stellt Ilija Trojanow „Tausend und ein Morgen“ im Literaturhaus Stuttgart vor.

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