Die Stuttgarter Polizei macht illegalen Sprayern das Leben schwer. Was nicht heißt, dass nicht trotzdem gesprüht wird. Ein Insider erzählt, wie er sich aufs Sprayen vorbereitet - und welche Flächen er auf keinen Fall besprüht.

Stuttgart - "Dass die Polizeipräsenz in Stuttgart allgemein recht stark ist, ist ja eigentlich offensichtlich“, sagt Dirk F.* und zieht nachdenklich an seiner Zigarette. Das merke schon jeder Tourist, der am Stuttgarter Hauptbahnhof seinen Zug verlässt. „Was aber nicht heißen soll, dass ich ein Problem mit der Staatsgewalt habe“, sagt er, „ganz im Gegenteil. Ich finde es wichtig, dass es Leute gibt, die dafür sorgen, dass nicht alles drunter und drüber geht.“

 

F. ist aktiver Graffiti-Sprüher. Seit sieben Jahren sprüht er seine Schriftzüge auf Stuttgarter Wände und Zugwagons, auch in anderen Städten Deutschlands und Europas hat er seine Spur auf den Fassaden hinterlassen. Pro Woche „male“ er bis zu vier Bilder, so F. Bilder - damit meint er größere, aufwändigere, meist mehrfarbige Graffiti. Die Tags, die er im Laufe einer Woche macht, zähle er nicht mehr.

Auf der Seite der Ermittler wird jedoch mitgezählt: jedes illegale Graffito, von dem die Polizei Kenntnis bekommt, wird gesichtet, fotografiert und registriert. Anhand der registrierten Graffiti lassen sich eventuell Rückschlüsse auf den Täter ziehen, die zur Identifizierung eines oder mehrerer Tatverdächtigen führen können. Im Jahr 2012 verzeichnete die Polizei Stuttgart 1.818 Straftaten im Bereich Sachbeschädigung durch Graffiti. Obwohl die Zahl dieser Sachbeschädigungen seit 2011 von 1.645 um 173 gestiegen ist, gehen Graffiti-Straftaten in Stuttgart zurück – 2008 waren es noch über 3.500 Fälle.

Ein aus den Vergehen resultierender Sachschaden könne laut der Stuttgarter Polizei jedoch nicht so genau beziffert werden: Etliche Graffiti ließen sich problemlos wieder entfernen, wodurch ein zunächst vermuteter Sachschaden später keiner mehr sei. Wird jedoch eine Spezialfirma zur Entfernung des Graffito benötigt, könne der Schaden schnell mehrere tausend Euro betragen. Das hänge dann maßgeblich von der Größe des Bildes und der verwendeten Farbe ab.

Im Falle einer Verurteilung muss der Täter für die entstandenen Kosten vollständig aufkommen. Allerdings gestalte sich die Fahndung für die Polizei in der Regel schwierig, da Graffiti- Sprüher meist nachts und zu Fuß unterwegs seien. Zusätzlich verursache das Aufsprühen der Bilder kaum Lärm, weswegen die Tat von Zeugen kaum bemerkt würde. Zur effektiveren Strafverfolgung gibt es speziell fortgebildete Graffiti-Sachbearbeiter, die die einzelnen Fälle analysieren und im Austausch mit Kollegen bearbeiten – mit Erfolg. 2012 konnte einem Tatverdächtigen die Verantwortung für 134 Graffiti nachgewiesen werden.

Seite 2: Planung ist alles

„Man bekommt es natürlich mit, wenn jemand erwischt wird“, sagt Dirk F., „sowas spricht sich schnell herum.“ Allgemein bemerke man in der Stuttgarter Graffiti-Szene die Präsenz der Polizei. Diese erschwere Graffiti-Aktionen und mache sie planungslastiger, so F. „Wenn man nicht ständig mit der Polizei zu tun haben will, sollte man genau wissen, was man tut. Mit hirnlosen Hau-Drauf-Aktionen kommt man in der Regel nicht weit.“

Die Planung dauere um ein Vielfaches länger als das Sprühen selbst und sei oft unabdingbar. So sei eine gute Planung auch maßgebend dafür, wie viel Zeit sich der Graffiti-Sprüher beim Sprühen nehmen kann, was wiederum Auswirkungen auf die Qualität des Bildes hat. „Je mehr Zeit man hat, desto aufwändigere Bilder kann man malen“, sagt F., „das hängt immer von der Situation ab. Es ist zum Beispiel viel einfacher, ein großes, mehrfarbiges Bild in irgendein Abbruchhaus zu malen, als auf eine S-Bahn. Denn auf der hat man einfach weniger Zeit.“ Weiterhin sei es wichtig zu wissen, von wo aus man von Passanten oder Anwohnern gesehen werden kann und aus welcher Richtung die Polizei anrücken könnte.

Neben der Qualität der Bilder zähle aber auch Quantität – allgemein wiege in Stuttgart dennoch die Qualität schwerer, meint F. „Das Niveau hier ist schon sehr hoch.“

Das Auge des Betrachters

Dass die meisten Bürger Graffiti oft als störende Farbschmierereien empfinden, kann F. nachvollziehen. Für ihn ist die Ästhetik eines Graffito stark von der Fläche abhängig, auf die das Bild gesprüht wurde. „Es gibt Flächen, da haben Graffiti nichts zu suchen. Frisch sanierte Häuser, Denkmäler, Gebäude mit einfallsreicher Architektur. Da gehören Graffiti nicht hin, finde ich. Das wäre einfach stumpfe Zerstörung, und darum geht es beim Malen nicht.“ Graffiti sei für ihn viel mehr ein Ausstieg aus dem Alltag, sagt F. Auch genieße er es, tagsüber an einem Bild vorbeizufahren, das er nachts gesprüht hat. Das eigene Schaffen zu sehen, sagt er, sei ja meistens eine sehr befriedigende Sache.

* Name nach Wunsch des Graffiti-Sprühers geändert.