Der frühere Besitzer hat das geschützte Haus an der Gerokstraße stark umgebaut – gegen den ausdrücklichen Willen der Behörden. Die Stadt erließ daraufhin eine fünfstellige Summe als Bußgeld. Doch als Kulturdenkmal ist das Gebäude unwiederbringlich dahin.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Die Villa sei wirklich kulturhistorisch beeindruckend gewesen, sagt Ellen Pietrus, die Leiterin der Stuttgarter Denkmalschutzbehörde – so habe sie zum Beispiel einen Fahrstuhl gehabt, was für die Bauzeit 1912 sehr ungewöhnlich war und vom hohen Anspruch der Bewohner zeugte. Auch der Gesamteindruck mit dem ehemaligen Kutscherwohnhaus und dem großen Garten ist besonders.

 

Doch die denkmalgeschützte Villa direkt neben der Charlottenklinik an der Gerokstraße existiert in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr: Vor einiger Zeit hat der damalige Besitzer Alexander W., ein Unternehmer aus dem Umland, gegen das ausdrückliche Votum der Behörde so starke Eingriffe vorgenommen, dass die Stadt Stuttgart der Villa die Eigenschaft als Kulturdenkmal aberkannt und ein Bußgeld in fünfstelliger Höhe erlassen hat. Als Denkmal ist die Villa nun verloren.

Der erste Besitzer bekommt hohe Auflagen und zieht zurück

Bekannt geworden ist der Vorgang, der schon einige Jahre zurückliegt, nur deshalb, weil sich ein weiterer Kaufinteressent über das Verhalten von Behörde und Eigentümer wundert. Der Rechtsanwalt Mark K. Binz hatte die Villa zunächst gekauft und war nach eigener Auskunft bereit, die meisten Auflagen der Stuttgarter Denkmalpfleger zu erfüllen: „Wir mussten aber um die kleinsten Veränderungen feilschen. Der zuständige Denkmalpfleger hatte mir gleich zu Beginn eröffnet, er möchte in meinen Bauplänen am liebsten überhaupt keine gelben Striche sehen. Gelb steht nämlich für Abbruch.“ Binz trat letztlich wegen dieses Punktes und anderer Umstände vom Vertrag zurück – Alexander W. habe dann das gesamte Dachgeschoss ausgebaut, riesige Glasflächen eingesetzt und auch Wände entfernt.

Mark K. Binz versteht nicht, dass denkmalinteressierten potenziellen Käufern viel zu viele Steine in den Weg gelegt und diese regelrecht vergrault würden. Er habe um jede einzelne Grundrissänderung, selbst im Keller, kämpfen müssen, während sein Nachfolger ein großzügiges Hallenbad geplant hätte „mit brutalem Eingriff in die Bausubstanz“. Selbst eine fünfstellige Summe als Bußgeld stelle doch ein „Nasenwasser“ dar angesichts einer Gesamtinvestition von mehreren Millionen Euro. Binz hält es für einen gravierenden Fehler, den Besitzer auch noch mit der Entziehung des Denkmalschutzes quasi zu belohnen, statt von ihm den Rückbau zu verlangen. „Auf diese Weise hat man eine kunsthistorisch wertvolle Villa zu Tode geschützt“, sagt Binz. Die Denkmalschutzbehörde müsse auf der einen Seite Partner sein, auf der anderen aber auch nicht zulassen, dass ein Besitzer sich mit einer Geldbuße freikaufen kann. „Dieses Beispiel würde sonst geradezu zur Nachahmung reizen“, sagt Binz.

Höchstes Bußgeld aller Zeiten

Der frühere Eigentümer Alexander W. hat auf zwei Anfragen der StZ nicht reagiert. Aus dem Umfeld ist aber zu erfahren, dass die Denkmalschutzbehörde sehr restriktiv vorgegangen sei und die Villa am liebsten unter eine Glashaube gestellt hätte, obwohl diese teilweise schon sehr heruntergekommen gewesen sei. Entzündet hatte sich der Streit vor allem an den durchgängigen Oberlichtern im Dach, deren Licht das obere Geschoss aufwerten sollte.

Ellen Pietrus von der Unteren Denkmalschutzbehörde bestätigt den Entzug des Status als Kulturdenkmal. Es habe viele Kontakte mit dem Besitzer gegeben, die von einem „schwierigen Ringen“ geprägt gewesen seien: „Dabei sind wir an die äußerste Grenze gegangen“, so Pietrus. Letztlich sei der Bauantrag mit den besprochenen Auflagen beschieden worden, aber der Besitzer habe darüber hinaus Umbauten vorgenommen: „In der Summe war das zu viel.“

Die Kritik, dass die Denkmalpfleger zu sehr auf ihrem Standpunkt beharren, weist Ellen Pietrus zurück: In der Regel könne zwischen Bauherrn und Behörde ein Kompromiss geschlossen werden – die Denkmalpflege sei bis zu einem gewissen Grad offen dafür. Dass sich ein Eigentümer dann an einen solchen vereinbarten Kompromiss nicht hält, komme hin und wieder vor, räumt Pietrus ein: „Es ist aber sehr selten, dass am Ende sogar der Status als Kulturdenkmal aberkannt werden muss.“

Ähnlich war es im Jahr 2011 im Gerberviertel. Der Investor des Einkaufsviertels sollte ein historistisches Haus aus dem Jahr 1900 an der Sophienstraße in das Quartier integrieren – wegen der angeblich maroden Substanz blieb am Schluss aber nur die Fassade stehen. Auch dieses Gebäude ist heute kein Kulturdenkmal mehr. Dass das Bußgeld bei der Villa an der Gerokstraße zu niedrig gewesen sei, lässt Pietrus ebenfalls nicht gelten: Noch nie habe die Stadt ein so hohes Bußgeld verhängt. Die Auflage, ein Gebäude in den ursprünglichen Zustand zurückzubauen, hätte den Eigentümer wohl eine siebenstellige Summe gekostet – darauf wurde verzichtet.

Eine Rückbauverfügung wurde nicht erlassen

Eine bittere Ironie des Schicksals ist übrigens, dass Alexander W. nie in die Villa eingezogen ist. Aus privaten Gründen hat er das Anwesen bald wieder verkauft. Der heutige Eigentümer muss sich nun bei gewünschten Umbauten nicht mehr mit dem Denkmalschutz beschäftigen.