Regelmäßige Killer-&-Co.-Leser wissen: diese Kolumne hat immer wieder auch was für Kinder. Hans Jörg Wangner ist von den Knastbüchern „Im Gefängnis“ und „Haselnusstage“ sehr beeindruckt.
Stuttgart - Für die achtjährige Sina bricht eine Welt zusammen. Ihr Papa Robert hat Dummheiten gemacht, sehr große Dummheiten sogar. Jetzt muss er dafür ins Gefängnis. Zu drei Jahren Haft hat ihn der Richter wegen schweren Raubes verurteilt – ihn, aber damit auch indirekt seine Frau und seine Tochter.
Wie es dem spielsüchtigen Mann hinter Gittern ergeht, was seine Familie so lange macht und ob am Ende noch Hoffnung für die drei besteht, das beschreiben Monika Osberghaus, Thomas Engelhardt und Susann Hesselbarth (Illustration) so eindrucksvoll wie informativ in dem Kinderbuch „Im Gefängnis“.
„Fensterkitt“ und „Affenkotelett“
Auf die Idee zu dem Buch kam Monika Osberghaus, Chefin des legendären Klett-Kinderbuch-Verlages, durch eine Gefängnispsychologin. Hintergrund war die Tatsache, dass es in Deutschland rund 100 000 Kinder und Jugendliche gibt, von denen ein Elternteil in Haft sitzt. Die Jungen und Mädchen dürfen ihre Angehörigen im „Wohnklo“ (Knastjargon für Zelle) nicht besuchen, sie (und die allermeisten Erwachsenen) wissen nichts von der Welt, in der eine Banane „Affenkotelett“ heißt, ein Pfarrer „Himmelskomiker“, der Kartoffelbrei „Fensterkitt“ und die weibliche Vollzugsbedienstete „Wachtel“.
Junge wie erwachsene Leser erfahren detailliert, was in einer Justizvollzugsanstalt alles verboten ist (nämlich sehr viel) und was erlaubt ist (sehr viel weniger). Sie begleiten Robert durch den Tag, erfahren, was es zu essen gibt und wie eine Gefängniszelle aussieht. Sie lesen in den Briefen an „Mein Mädchen“, wie er sich fühlt, und lernen, was für ein enormer Apparat hinter den dicken Mauern existiert. Zur stets kindgerechten Sprache kommen dabei natürlich auch wichtige Aspekte der Justiz und der Sozialarbeit.
Bei aller Ernsthaftigkeit auch Leichtigkeit bewahrt
So ist ein äußerst informatives Sach- und Lese- und Bilderbuch entstanden, das bei aller Ernsthaftigkeit auch eine gewisse Leichtigkeit bewahren kann. Sei es im weiter oben erwähnten Glossar, sei es in Details wie den Namen des Gefängnispersonals, das Weigl, Neuer oder Gündogan heißt. Dass die Rechnung aufgeht, zeigt der Test an der Zielgruppe: Sechs-, Neun- und Zwölfjährige haben das Buch mit überaus großem Interesse verschlungen beziehungsweise sich vorlesen lassen.
Traurige, poetische „Haselnusstage“
Auf ähnlich großes Interesse stießen die „Haselnusstage“ von Emmanuel Bourdier und Zaü (Illustration), die sich dem Thema mit den Mitteln klassischer französischer „Bande dessinée“-Kunst nähern und dafür schon mit dem deutsch-französischen Jugendliteraturpreis belohnt wurden.
Auch hier steht ein Kind im Mittelpunkt, dessen Papa im Knast sitzt: „Papa weint. Wieder einmal. Weint er weniger, wenn er nach Haselmuss riecht? Ich glaube schon. Ich weine nicht mit. Diesmal nicht.“ Eine traurige, poetische Momentaufnahme, die aber genauso klar wie „Im Gefängnis“ die Härten des Lebens hinter Gittern verdeutlicht: für die Häftlinge – ganz unabhängig von ihrer individuellen Schuld –, besonders aber auch für ihre Familien.
Thomas Engelhardt, Monika Osberghaus, Susann Hesselbarth (Illustration): Im Gefängnis.
Verlag Klett-Kinderbuch. 96 Seiten, 14 Euro. Emmanuel Bourdier, Zaü (Illustration): Haselnusstage
. Aus dem Französischen von Maren Illinger. Verlag Minedition. 40 Seiten, 14,95 Euro, beide ab 8 Jahren.