Tanzen mit Blick auf Park, Eckensee und Opernhaus? Das Team der Choreografin Smadar Goshen hat eine Bühne erobert, die für Offenheit steht und Einblicke bietet.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - Gleich am ersten Probentag vor Ort funktioniert die Kommunikation zwischen Künstlern und Parkbesuchern reibungslos. Auf einen Wink von Smadar Goshen hin drehen zwei Mädchen ihre Musikbox ohne zu murren leiser und nehmen auf einer Bank Platz, um den vier Tänzern und Tänzerinnen im Skulpturenhof des Württembergischen Kunstvereins zuzuschauen. Auf der hier aufgebauten Tanzbühne sind die Proben für Smadar Goshens neues Stück „Hoomans“ in der Endphase.

 

„Morgen wird ein Sichtschutz zum Park hin aufgebaut“, sagt die israelische Choreografin und bedauert nicht nur, dass dann die stimmungsvolle Aussicht auf Eckensee und Opernhaus wegfällt. Auch dass das junge Parkpublikum das Geschehen im Kunstgebäude-Hof nicht mehr wird verfolgen können, findet Smadar Goshen schade. „Andererseits muss ich auch meine Tänzer und Tänzerinnen schützen. Die Kostüme, die sie demnächst tragen, sind sehr transparent“, erklärt die Choreografin.

Wie einzigartig ist jeder?

Schließlich geht es der israelischen Künstlerin um einen unverfälschten Blick auf die Einzigartigkeit des Menschen. „Hoomans“ heißt ihr Stück, der Titel spielt auf eine urwüchsige Form von „Humans“ an, die vier Tänzer sind so etwas wie menschliches Rohmaterial. So soll ein ehrlicher Blick auf das entblößte „Andere“ gelingen. Die Bühne im Hof des Kunstvereins scheint da ein passender Ort. Er steht nicht erst seit den 1970er-Jahren, an die das „Stammheim“-Graffito an der Wand erinnert, für Offenheit und Diskussionsbereitschaft.

Bringt die von „Hoomans“ inszenierte Intimität uns Menschen näher zusammen, indem sie uns als gleich zeigt? Darum geht es Smadar Goshen in einer Zeit, in der schon allein die Farbe der Haut eine Problemzone sein kann. Passend zu dieser Fragestellung stehen hinter den Scheiben des Kunstvereins Transparente, die hier scheinbar nach der letzten „Black lives matter“-Demonstration abgestellt wurden.

Rassismus, ein Fall fürs Museum?

Dass diese Anti-Rassismus-Proteste schon ein Fall fürs Museum sind? Kaum vorstellbar. So achtsam, aufeinander aufbauend und einander stützend, wie es Goshens-Tanz-Team Selina Koch, Andrea Perez, Bar Gonen und der Gauthier-Tänzer Theophilus Vesely als einziger Mann auf der Bühne davor tun, geht die Menschheit als Ganzes leider nicht miteinander um. Obwohl sich der Tanz völlig unspektakulär entwickelt und häufig stille Momente wie Ruhezonen aufsucht, entwickeln die Gruppenszenen einen lebendigen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Lesen Sie hier aus unserem Plus-Angebot: Porträt der Choreografin Smadar Goshen

Wie offen und unverstellt sind wir nach langen Pandemie-Monaten für Nähe, für Begegnung mit dem anderen? Wie erschwerend wirkt da eine Gesellschaft, die grundlegend von Entfremdung und Zurückhaltung geprägt ist? Wie können wir ein unverstelltes Aufeinanderzugehen wagen? „Um diese Fragen zu ergründen, wäre eigentlich eine größere Ansammlung von Individuen sinnvoll gewesen“, sagt Smadar Goshen; doch letztlich scheiterte der Wunsch der Choreografin an der schwierigen Finanzierung des Projekts.

Nun wird das Bühnenbild von Lior Skoury eine größere Rolle spielen, das Performance und Zuschauende teilweise durch eine Art Schaufenster trennt und mit diesem „Safe Space“ zum einen falsche Nähe suggeriert, zum anderen die Beobachtenden selbst auf den Präsentierteller hebt. Wer in dieser Art Schaufenster zu sitzen kommt, entscheidet sich bei der Ticketreservierung über die Platznummer rein zufällig.

Hier gibt es Karten für die Aufführungen

Der Eintritt zu allen Vorstellungen ist frei; Tickets reservieren kann man per Mail über:

zentrale@wkv-stuttgart.de

Die Premiere an diesem Freitag (9. Juli) um 20.30 Uhr ist bereits ausgebucht. Für die weiteren vier Aufführungen gibt es noch Karten: Samstag, 10. Juli, und Sonntag, 11. Juli, um 20.15 und 21.45 Uhr