Olivier Assayas erzählt eine große Geschichte über den Terrorismus und raubt dabei jede Illusion.

Stuttgart - Wer in den siebziger Jahren mit Olympia-Attentat, Bombenanschlägen, RAF und Schleyer-Ermordung, Mogadischu, Rasterfahndung, Hausdurchsuchungen, Fahndungsdruck und Toten in Stammheim aufwuchs, dem wird gewiss noch der "Spiegel"-Titel vom Juli 1976 in Erinnerung sein, als ein pausbäckiger Mann mit Sonnenbrille und dicken Koteletten zum "meistgesuchten Mann der Welt" ausgerufen wurde.

Die Rede ist von dem in Venezuela geborenen Ilich Ramirez Sanchez, genannt "Carlos", der zwischen 1970 und seiner spektakulären Verhaftung 1994 im Sudan als internationaler Strippenzieher des Terrorismus galt: nicht zu fassen, aber fast ein Popstar. Der berühmte französische Autorenfilmer Olivier Assayas ("Irma Vep", "Demonlover") und sein Drehbuchautor Dan Franck haben sich jetzt in einer kompetent recherchierten und mustergültig umgesetzten Zeitreise auf eine Spurensuche begeben und dabei eine Geschichte des internationalen Terrorismus rekonstruiert, die desillusionierender nicht sein könnte.

"Carlos - Der Schakal", eigentlich als Miniserie fürs französische Fernsehen konzipiert, kommt in zwei unterschiedlichen Fassungen in die Kinos: Die kürzere Fassung dauert 190 Minuten und ist eigentlich nur denjenigen zu empfehlen, die die längere Fassung bereits gesehen haben. Die längere Fassung, die in einigen auswählten Kinos zu sehen sein wird, dauert 333 Minuten, wurde in Cannes mit langandauernden Standing Ovations gefeiert und lohnt buchstäblich jede Sekunde.

Ein buntes Szenario gescheiterter Anschläge


Gerade weil Assayas und Franck ihrer ausladenden, multilingualen Geschichtsrekonstruktion einige blinde Flecken des Fiktiven und Widersprüchlichen zugestehen, verfallen sie nicht auf den Fehler der Deutschen Bernd Eichinger und Uli Edel, die bei "Der Baader Meinhof Komplex" nie über das oberflächliche Nachstellen von Medienbildern hinausgelangten. "Carlos - Der Schakal" beginnt 1973 mit dem erfolgreichen Bombenattentat auf Mohamed Boudia, den Leiter der Pariser Vertretung der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP).

Carlos (sensationell körperbetont gespielt von Edgar Ramirez), der sich im Sommer 1970 der PFLP angeschlossen hat und auch bereits militärische Erfahrungen sammelte, will die Nachfolge Boudias antreten und reist nach Beirut, um bei Wadi Haddad, dem Mitbegründer der PFLP, vorzusprechen. In der Folgezeit entwirft der Film ein buntes Szenario mit einigen mehr oder weniger gescheiterten Anschlägen und lateinamerikanischer Revolutionsfolklore nebst entsprechendem Jargon, den Carlos souverän beherrscht.