Fernando León de Aranoas schwarze Kinokomödie „Der perfekte Chef“ ist ein zeitgenössisches Sittengemälde. Javier Bardem spielt darin einen Patriarchen in der Krise.

Ein Preis fehlt dem Patriarchen Julio Blanco noch an seiner Wand: derjenige der Regierung für exzellente Unternehmensführung. Der Industriewaagenhersteller tut alles dafür, ihn zu bekommen – auch wenn sich binnen einer kurzen Woche ein Gebirge an Problemen vor ihm auftürmt.

 

Der spanische Filmstar Javier Bardem („No Country for old Men“, „Skyfall“) spielt diesen Mann mit großer Lust. Sein Julio stilisiert sich selbst zum Mann mit offenem Ohr und väterlichen Freund der Belegschaft, die er als „Söhne und Töchter“ bezeichnet. Er gibt sich hilfsbereit, er laviert und charmiert sich geschmeidig durch manche Krise, auch wenn er kurz vorm Platzen ist. Doch bald zeigt sich: Dankbarkeit ist rar gesät, und eigene Fehltritte können sich rächen.

Ein Demonstrant bockt, Mitarbeiter verweigern sich

Zuerst macht ein frisch entlassener Mitarbeiter Rabatz. Er richtet sich gegenüber dem Werkstor ein Demonstrationscamp mit despektierlichen Bannern ein und beschimpft Blanco mit einem Megafon, wenn dieser ein- und ausfährt. Der versucht mit allen Mitteln, diesen Schandfleck loszuwerden, den die Preisrichter auf keinen Fall sehen sollen. Doch der Demonstrant bockt.

Der Chef kümmert sich auch um den Sohn eines Mitarbeiters, der mit Freunden Migranten verprügelt hat. Der Junge soll Blancos sarkastischer Frau in der Boutique helfen. Stattdessen hängen er und seine halbstarken Freunde vor dem Laden herum, wo sie rauchen, die Mopeds knattern lassen und die Kundschaft vertreiben. Der Produktionsleiter Miralles versemmelt praktisch täglich wichtige Aufträge, weil er nicht bei der Sache ist: Seine Frau, eine Kassiererin, hat offenbar ein Affäre. Also hilft Blanco nach Feierabend auch hier aus. Doch Miralles kommt nicht etwa wieder in die Spur, sondern steigert sich immer tiefer in die Sache hinein.

Eine Praktikantin wird zur Gefahr

Bald unterläuft dem Patriarchen selbst ein fataler Fehler: Er umgarnt eine attraktive Praktikantin, die sich als Tochter eines befreundeten Unternehmerkollegen entpuppt. Er hat sie einfach nicht erkannt und gerät nun in eine echte Zwickmühle: Er muss sie loswerden, ohne dass sie ihn verrät. Almudena Amor empfiehlt sich hier sehr nachhaltig als durchtriebenes Metoo-Opfer.

Javier Bardem nuanciert fein, mit einem exzellenten Gespür fürs Timing. Wenn Blanco spürt, dass er mit abgeschmackten patriarchalen Reden voller leerer Versprechungen nicht weiterkommt, wird in seinen Zügen sichtbar, wie er routiniert umschaltet und die Strategie ändert. Wenn Blanco in einem Schockmoment das Gesicht herunterfällt, zieht er umgehend die Mundwinkel gerade weit genug hoch, dass es den anderen Figuren nicht auffällt. Die allwissenden Zuschauer dagegen können sich herrlich amüsieren über die Irrungen und Wirrungen in dieser schwarzen Komödie.

Dialoge und Situationskomik sitzen

Es ist Bardems dritter Film mit dem spanischen Regisseur Fernando León de Aranoa. In „Loving Pablo“ (2017) spielte er den kolumbianischen Drogenbaron Pablo Escobar, in „Montags in der Sonne“ (2002) einen von fünf arbeitslosen Männern in der spanischen Werft-Stadt Vigo. „Der perfekte Chef“ nun ist die erste gemeinsame Komödie. Die nehmen in Spanien gerne stark überdrehte Züge an, nicht aber bei Aranoa. Das liegt vor allem an seinem selbst verfassten Drehbuch: Dialoge und Situationskomik sitzen. Er fühle sich wie ein Chirurg, der ein Bein nicht abtrennen wolle, salbadert Bardem als Blanco: „Ich habe keine Wahl.“ Sein sensibler Pförtner aber hat gar nicht zugehört, sondern die Schallschutzkopfhörer getestet, die Blanco ihm gebracht hat gegen das Megafongeschrei des Demonstranten.

Alle Rollen sind exzellent besetzt mit spanischen Schauspielern, die das deutsche Publikum kaum kennt, die Schauplätze hat Aranoa gut gewählt. Die Waagenfabrik stellt zeitgemäße Produkte her, sieht aber aus wie aus der Nachkriegszeit: Der Schweißer hockt in einem dunklen Kabuff, der Seifenspender ist leer, die an die Wand gesprühten Motivationssprüche verblassen. Wie in einer Mockumentary, einer fingierten Dokumentation, wirkt es, wenn die Belegschaft betreten einem hinterherschaut, der entlassen ist, es aber selbst noch nicht weiß.

Honoratioren flöten lügend ins Telefon

Aranoa streift viele aktuelle Themen in seinem zeitgenössischen Sittengemälde. Die Praktikantin ist hier kein Klischee, sondern ein stimmiges Sinnbild für den alltäglichen Sexismus, der verführerische Vertriebschef mit den maghrebinischen Wurzeln spielt geschickt die Rassismus-Karte. Und die Honoratioren flöten lügend ins Telefon, während sie um Privilegien schachern. Im Finale laufen alle Stränge zusammen, es kommt zum Knall, durchdacht und durchaus originell.

Der perfekte Chef. E 2021. Regie: Fernando León de Aranoa. Mit Javier Bardem, Almudena Amor. 120 Minuten.