Während die Republik debattiert, wie viel von Rechts in der Anti-Corona-Bewegung Querdenken 711 steckt, tauschen sich Jürgen Elsässer und Oliver Janich auf Einladung der Bewegung über radikale Strategien und Reichsflaggen als neues Lebensgefühl aus.

Stuttgart - Die Bilder von Reichsflaggen schwenkenden Demonstranten, die im Rahmen der Coronaproteste am vergangen Samstag die Treppe zum Reichstag stürmten, riefen bundesweit Empörung hervor. Während sich Michael Ballweg noch am Sonntag bemüht hatte, seine Bewegung Querdenken 711 von den Vorfällen am Reichstag zu distanzieren, meldete sich wenige Stunden später Jürgen Elsässer, Chefredakteur des rechtspopulistischen und seit März vom Verfassungsschutz zum Verdachtsfall erklärten Magazins Compact, zu Wort: „Es ist in erster Linie mal begrüßenswert, wenn Leute ein Happening auf der Treppe des Reichstages machen.“

 

Livesgespräch nach der Demonstration

Interessant ist dabei, dass Elsässer als Gast im YouTube-Kanal von Samuel Eckert geladen war. Eckert ist Unternehmer, YouTuber und setzt Querdenken 711 momentan vor, hinter und auf der Bühne in Szene. Neben Elsässer wurde auch Oliver Janich dem Gespräch zugeschaltet. Janich ist Mitgründer der libertären Kleinstpartei Partei der Vernunft, gilt als Verschwörungserzähler, Rechtspopulist und wendet sich von den Philippinen aus an seine Anhängerschaft. Die Unterhaltung wirkt nun wie ein live-gestreamtes Planungstreffen, in dessen Verlauf Elsässer, Janich und Eckert Strategien für die gemeinsame Zukunft entwerfen.

Zweifel an Souveränität

Dabei kommen immer wieder interessante Details zu Tage. Zum Beispiel heben Elsässer und Janich lobend hervor, dass sich Michael Ballweg öffentlich kritisch zum Zwei-Plus-Vier-Vertrag, mit dem die deutsche Wiedervereinigung außenpolitisch ermöglicht wurde, und der Souveränität Deutschlands äußert. „Das heißt, im Grunde hat auch Michael Ballweg so eine Stimmung befördert, was auch nicht schlecht ist, wenn man das Thema Souveränität endlich auf den Tisch packt“, sagt Jürgen Elsässer. Im gleichen Atemzug stellt er erfreut fest, dass sich im Rahmen der Querdenken-Demonstrationen eine Art „Reichspopbewegung“ herausbildet mit der Reichsflagge als Symbol für ein neues Lebensgefühl.

Kritik an Kundgebung

Kritischer hingegen äußern sich die Gesprächspartner zum Verlauf der Kundgebung am vergangenen Samstag. So führt Oliver Janich an, dass ihn die Rednerliste, „nur Linke und Grüne“, enttäuscht habe. Durch das Fehlen von konservativen und libertären Stimmen sei es für ihn schwierig gewesen, das Programm gegenüber seinen Anhängern zu rechtfertigen. Elsässer erinnert an die Auflösung der ersten Berliner Veranstaltung: „Ihr hättet eigentlich am großen Stern im Grunde dafür sorgen müssen, dass die Polizei wieder die Bühne besetzt, das hätte die Stimmung erheblich gehoben.“

Im Protest vereint

Das gut eineinhalbstündige Interview wirft viele Fragen auf. Die allerdrängendste ist sicherlich: Wen meinen die drei Gesprächspartner, wenn sie „Wir“ sagen? Für den Zuschauer muss es so erscheinen, als ob sie sich als Teil einer Bewegung verstehen und über gemeinsame zukünftige Aktionen diskutieren. Kommentieren wollten diese Frage gegenüber unserer Zeitung weder Michael Ballweg noch Samuel Eckert. Michael Ballweg verwies einzig darauf, dass das Gespräch nicht abgestimmt gewesen und von Samuel Eckert in Eigenregie geplant und durchgeführt worden sei.

Ebenfalls unkommentiert ließen sie die Frage, warum eine Initiative wie Querdenken 711, die laut ihres Manifests das Grundgesetz verteidigen will, ihre Strategie mit Menschen abstimmt, die dieses Grundgesetz in Frage stellen.

Der Druck wächst

Interessanterweise deutet das Gespräch aber ebenfalls darauf hin, dass es innerhalb der Bewegung Spannungen gibt. Während Elsässer revolutionäre Akte der Demonstranten einfordert: „Die Hunderttausenden müssen agieren!“, verlangt Janich für seine Anhänger die Stärkung konservativer und libertärer Positionen. Es wird eine Parteigründung erwogen und verworfen, Inhalte für eine neue Verfassung werden gefordert und zurückgestellt. Einig ist man sich offenbar vor allem in der unmittelbaren Aufgabe, die Regierung abzulösen.

Jürgen Elsässer bringt die Situation dann auch selbst noch mal auf den Punkt: „Das Orgateam und Michael Ballweg stehen ja unter so einem Druck, sich zu distanzieren. Und der Michael Ballweg hat sich nie distanziert. Das allein ist ihm hoch anzurechnen.“ Wie er mit diesem Kompliment umgeht, wollte Michael Ballweg ebenfalls nicht kommentieren.