Die Technik der unbemannten Fluggeräte wird nicht nur militärisch eingesetzt, sondern immer häufiger zu zivilen Zwecken verwendet: im Sportfernsehen, in Filmen, im Naturschutz. Was das fliegende Kameraauge sieht, verändert unseren Blick auf die Welt.

Stuttgart - Vor 45 Jahren setzte der Kinderpsychologe Haim G. Ginott eine Metapher in die Welt, die erst nach der Jahrtausendwende Karriere machte. „Sie schwebt über mir wie ein Helikopter“ – so beschrieb ein junger Patient von Ginott seine überfürsorgliche Mutter. Heutzutage ist der Begriff „Helikopter-Eltern“ in aller Munde – und vielleicht muss man ihn bald so wörtlich verstehen wie Claire und Phil Dunphy, Protagonisten der amerikanischen Serie „Modern Family“. In einer Folge, die Anfang Februar in den USA ausgestrahlt wurde, schnüffeln sie ihrem Sohn Luke hinterher. „Hol dieses Drohnending aus dem Auto!“, fordert schließlich Claire, und schon fliegt der spinnengleiche Quadrokopter elegant über die Mauer, um auszukundschaften, was dahinter vor sich geht. Die Linse sieht: Luke und seine Freunde drehen in dem Hinterhof einen Film; Luke bangt sogleich um sein geistiges Eigentum, als er die Drohne entdeckt. Die Quadrokopter-Eltern flüchten fix im Auto davon, die Drohne geschwind hinterher.

 

„I spy“, der Titel der Folge, meint ein populäres Kinderspiel. Hierzulande ist es besser bekannt unter dem Namen „Ich sehe was, was du nicht siehst“.

Die Privatisierung der Überwachung, die Sehnsucht nach Sicherheit, die Paranoia der Sichtbarkeit: in der Serienszene verdichten sich wesentliche Momente der Debatte über die kleinen fliegenden Dinger, die im Gesetz als „unbemannte Luftgeräte“, im technischen Vokabular je nach Anzahl der Rotoren als Quadro-, Hexa- oder Oktokopter und vom Volksmund schlicht als „Drohne“ bezeichnet werden. Wobei besagter Volksmund üblicherweise jene militärischen Kleinflugzeuge meint, die als Werkzeug der sogenannten unbemannten Kriegsführung per Joystick Menschenleben beenden.

Einsteigermodelle gibt es für ein paar Hundert Euro

In der engagiert geführten Debatte über die Rechtmäßigkeit solch „anonymen“ Tötens wird meist überhört, dass auch hierzulande immer öfter das sanfte Brummen einer Drohne zu vernehmen ist. Die Popularisierung der militärischen Technik schreitet stetig voran, zivile Drohnen erobern den Himmel nicht über Afghanistan oder Pakistan, sondern vor allem den über Europa und den USA. Dass Eltern ihren Nachwuchs mit Drohnen überwachen, hält nur derjenige für Science-Fiction, der noch nicht davon gehört hat, dass Amazon und die Deutsche Post laut darüber nachdenken, ihre Päckchen mit Drohnen auszuliefern, und der Autobauer Renault ein neues Modell mit einer Drohne ausstattet. Das ist keine Wissenschaftsfiktion, das ist Wirklichkeit.

Nicht erst seit gestern gelten Quadrokopter als kommendes Must-have für Journalisten, vor allem wegen des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Einsteigermodelle kosten nur ein paar Hundert Euro; schon damit kann man Bilder aufnehmen, die die Welt noch nicht zu Gesicht bekommen hat, weil Drohnen die Vogelperspektive genauso beherrschen wie die Mobilität und den Makroblick einer Schnecke. Ich sehe was, was du nicht siehst: Immer mehr Energiefirmen kontrollieren Gas- und Stromleitungen mit Drohnen, immer öfter greifen Feuerwehr und andere Hilfsdienste auf Drohnen zurück, um an Stellen vorzudringen, an die kein Mensch je lebendig gelangte oder von denen er wenigstens nicht gesund zurückkehrte wie etwa die AKW-Ruine in Fukushima. Die US-Erfolgsserie „Game of Thrones“ wurde teilweise mit Drohnen gefilmt, bei „Deutschland sucht den Superstar“ kommen sie genauso selbstverständlich zum Einsatz wie in öffentlich-rechtlichen Reportagen, Werbeclips von Mercedes, Musikvideos von Xavier Naidoo, und in den USA wird bereits manch ein College-Football-Spiel von Drohnen aufgezeichnet.

Für einige ist diese Entwicklung weniger überraschend als für andere: Chris Anderson, von 2001 bis 2012 Chefredakteur des Magazins „Wired“, der Bibel der technischen Avantgarde, gründete schon vor fünf Jahren die Firma 3D Robotics, die Drohnen für den Hausgebrauch, auch als Do-it-yourself-Bastelsets, verkauft und ein zugehöriges Onlineforum betreibt.

Den Begriff „Drohne“ mögen Lobbyverbände nicht so

Im November 2011 beschäftigte sich schließlich der deutsche Bundesrat mit dem „Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes“, der im Januar 2012 vom Bundestag beschlossen wurde. Neben einer Regelung über Flughafenentgelte und über das „Absetzen von Fallschirmspringern“ wurde entschieden, die Liste der Luftfahrzeuge um eine weitere Gattung zu ergänzen: „Ebenfalls als Luftfahrzeuge gelten unbemannte Fluggeräte einschließlich ihrer Kontrollstation, die nicht zu Zwecken des Sports oder der Freizeitgestaltung betrieben werden (unbemannte Luftfahrtsysteme).“ So tauchte die kommerzielle Nutzung erstmals im Gesetz auf.

Anfangs war wohl angedacht gewesen, die kleinen Geräte unter der Bezeichnung „Drohnen“ in den Gesetzestext aufzunehmen, doch dem widersprachen Lobbyverbände. Die Deutschsprachige Arbeitsgruppe für Unbemannte Luftfahrzeuge (UAV), kurz UAV Dach, erklärte, es scheine „der Begriff ‚Drohne‘ für diese Art der Zukunftstechnologie im laienhaften Verständnis militärisch vorbelastet zu sein, so dass allein wegen dieser schiefen Begriffsverwendung unnötige und unsachliche Vorbehalte im parlamentarischen Verfahren und in der Gesellschaft entstehen könnten.“ Womit die UAV Dach recht hat: Tatsächlich wird der Begriff „Drohne“ im Hausgebrauch „schief“ verwendet, zumindest wenn man der Ursprungslegende glauben darf. Danach geschah es im Jahr 1935, dass ein US-Admiral einer britischen Vorführung beiwohnte, in der ferngesteuerte Modellflugzeuge für Schießübungen verwendet wurden. Der Admiral nahm die Idee mit nach Hause und nannte seine Version „drones“, gleichsam als Widmung an das britische Original namens „queen bees“.

Eine neue Form des Journalismus

Allein, diese Bezeichnung ist mittlerweile nicht mehr gut gelitten. In den USA wird eifrig diskutiert, ob man Drohnen nun Drohnen nennen sollte, und von deutschen Drohnen-Piloten und Drohnen-Herstellern wird man ebenfalls darauf hingewiesen, dass ein Oktokopter ein Oktokopter sei und keine Drohne. Auch der „Medienscout“ Max Ruppert schrieb jüngst in seinem Blog: „Ich verwende ab jetzt lieber die Begriffe Kamkopter/Camcopter oder Quadro-/Oktokopter. Die Verwendung des Wortes ‚Drohne‘ trägt immer die negative Konnotation mit der unbemannten militärischen Aufklärungs- und Vernichtungswaffe mit sich.“ Das Blog betreibt Ruppert mit zwei Kollegen, um sich mit dieser neuen Form des Journalismus zu beschäftigen. Es lautet auf den Namen „Volle Drohnung“ und unternahm im Oktober 2013 als erste Amtshandlung einen „Ausspähtest“.

Auch andere Drohnenpiloten und -hersteller lehnen die Bezeichnung „Drohne“ zwar ab, führen sie aber dennoch in der Firmenbezeichnung oder wenigstens in der Internetadresse. Man will seine Produkte schließlich an den Mann bringen, wie „schief“ auch immer, und dazu taugt die „militärische Vorbelastung“ offenkundig ziemlich gut.

Und vor allem darf die Abstammung vom Heeresgerät als Tatsache und nicht als wilde Fantasie des unkundigen Volkes gelten, wie der UAV Dach mit dem hübschen Gegensatz zwischen „Zukunftstechnologie“ und „laienhaftem Verständnis“ mehr schlecht als recht verschleiert. Selbstverständlich gründet auch die Technik privater Quadro- und Oktokopter in Militärbeständen, und der Hype um die Geräte ist nicht zuletzt den Investitionen der DARPA – der Defense Advanced Research Projects Agency – in die Entwicklung unbemannter Flugobjekte zu verdanken. Mit der Popularisierung militärischer Techniken kennt sich die US-Agentur aus: Als sie noch ARPA hieß, das D für „Defense“ noch nicht im Namen trug, erfand sie einst das Internet.

Der militärische Ursprung ist unübersehbar

„Ich würde sogar sagen, dass die militärischen Anwendungen sowohl den technischen Standard der Überwachungswerkzeuge gesetzt als auch den kognitiven Rahmen ihrer Anwendung bestimmt haben“, schreibt der Philosoph und Soziologe Zygmunt Bauman in dem Buch „Daten, Drohnen, Disziplin“, das er gemeinsam mit David Lyon, dem Direktor des Surveillance Studies Centre (Zentrum für Überwachungsstudien) an der Queen’s University in Kingston/Kanada, verfasst hat. Tatsächlich schärfen sich aktuell die Kanten dieses kognitiven Rahmens. Zivile Drohnen gelten als Zukunft sowohl der Sportfotografie als auch des Journalismus und des Naturfilms – und sind dabei immer öfter im selben Luftraum wie die militärischen Drohnen unterwegs.

Bei den diesjährigen Olympischen Winterspielen in Sotschi zum Beispiel konnte man fast von einer regelrechten Wachablösung sprechen. Zum Schutz vor Anschlägen kamen militärische Drohnen zum Einsatz, und zur medialen Verbreitung des Wettbewerbs bediente man sich – erstmals in der Geschichte der Olympischen Spiele – ziviler Drohnen. Selbstredend mangelt es den TV-Drohnen an Bewaffnung (das gilt allerdings oft auch für die staatlichen), doch „jede Form von Überwachung dient demselben Zweck: Ziele auszumachen, zu orten und im Blick zu behalten“, schreibt Bauman. Die Sprache verrät die Verwandtschaft ohnehin, wie die Schlagzeile der Nachrichtenagentur AP, die über die olympische Drohnenpremiere berichtete, sinnfällig machte: „Sochi drone shooting Olympic TV, not terrorists“ (Sotschi-Drohne schießt Olympia, nicht Terroristen).

In Kiew schwebten beide Sorten Drohnen über dem Maidan

In rein sportlicher Mission waren private Drohnen im Jahr 2012 auch schon in Pakistan unterwegs: um die Besteigung des Trango Tower durch Peter Ortner und David Lama (dessen Bergfilm „Cerro Torre“ diese Woche in die Kinos gekommen ist) zu dokumentieren. In Kiew, während der jüngsten Aufstände, bevölkerten sowohl journalistische als auch militärische Drohnen den Himmel, beide mit dem Ziel der Dokumentation der Ereignisse, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen; Erstere wollten die Weltbevölkerung informieren, Letztere nur sich selbst. Oder Kenia: dort sollen Drohnen die Aktivitäten sowohl somalischer Milizen als auch die der vom Aussterben bedrohten Nashörner überwachen. Und natürlich eignete sich so ein Kopter ideal für die vierte Gewalt, um intimen Momenten prominenter Personen beizuwohnen, sei es eine Haussuchung, ein Ehebruch oder Madonna im Bade. Zwar werden ethische Fragen unter Journalisten, die mit Drohnen arbeiten, bereits diskutiert; am Ende jedoch könnten die selbstgegebenen Regeln sich als ähnlich stumpfe Schwerter wie andere Pressekodices erweisen. Von den Fragen der Sicherheit ganz zu schweigen: Während militärische Drohnen so weit als eben möglich gegen Hackerangriffe immunisiert werden, kennen zivile Drohnen bislang keinen Schutz gegen virtuelle Übernahmen. Was das für das Verhältnis von Nähe und Distanz, von öffentlich und privat, von sichtbar und unsichtbar bedeutet, lässt sich bis jetzt kaum abschätzen. Die geopolitische Relevanz formulierte wohl am trefflichsten ein Produzent von „Deutschland sucht den Superstar“: „Man kann (mittels einer Drohne) auch erzählen, dass man auf einer Insel ist. Ansonsten sehe ich ja immer nur den Strand.“

Sie sind unsichtbar und machen alles sichtbar

„Die Drohnen der nächsten Generation werden unsichtbar sein, während sie alles um sich herum der Beobachtung zugänglich machen“, heißt es bei Zygmunt Bauman, „sie selbst werden unantastbar sein, während sie alles in ihrer Umgebung verwundbar machen.“ Tatsächlich wird man auch die Metapher „Drohne“ bald wörtlich nehmen müssen: In den USA und andernorts wird längst über Drohnen nachgedacht, die nicht größer sind als Bienen und so sympathische Namen tragen wie „Dragonfly“, „Mosquito“, „Crazyflie“ oder „Butterfly“. Manch einer träumt davon, dass diese Insektoiden noch das Stechen lernen, um eine DNS-Probe zu entnehmen. Andere wollen Drohnen als Haustiere etablieren, die folgsamer sind als jeder Hund und kleine Lasten so geduldig transportieren wie ein Esel. Und irgendwann avanciert die Technologie zur Biotechnologie.

Ganz nah dran an den Elefanten

Mit der Naturnähe ihrer Produkte wirbt auch die deutsche Firma Microdrones, die in der Öffentlichkeit statt ihrer invasiven Geräte freilich lieber ihre fürsorglichen hervorhebt. Der Imagespot „Microdrones in Kenya“ beginnt mit einem Schild, das schief in der Steppe pflockt, darauf die handschriftliche Bitte (oder Warnung) „Please do not go beyond this point“, bitte gehen Sie nicht weiter. Davor hockt eine Drohne, selbstbewusst wie ein Kolonialherr, der sein Revier begutachtet und weiß, dass ein Gebot des Fernbleibens ihn nicht anficht. Dann fällt der Blick der Kamera auf eine weit entfernte Herde Elefanten, die Umrisse verschwimmen in der flimmernden Hitze: Da also darf ein Mensch nicht hin. Es folgt ein Schnitt, nun befindet man sich in der verbotenen Zone, mitten unter den Elefanten, gleichsam als Teil der Herde, auf Augenhöhe, man sieht jede Falte, jede Hautverfärbung, jeden Schatten.

Der erste Blick, der von weit fern, das ist der Blick des Menschen. Der zweite Blick, der ganz nahe dran, das ist der Blick der Drohne, der – wie immer, wenn Maschinen die Welt ordnen – irgendwie natürlicher wirkt oder wenigstens objektiver. Eine Drohne beherrscht mikro wie makro und kennt nicht einmal den Unterschied. Ihre einzige Botschaft lautet: Ich sehe was, was du nicht siehst, und das bin ich.