Wem ist im Wahlkampf noch zu trauen? Meinungsroboter und Provokateure wollen Verwirrung stiften. Wie gehen die Parteien mit dieser Gefahr um? Der Kampf gegen das Manipulationspotenzial ist auch ein Kampf um Glaubwürdigkeit.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Auch virtuelle Gegner vermochten Emmanuel Macron auf dem Weg in das französische Präsidentenpalais nicht aufzuhalten. Unmittelbar vor dem Wahlsonntag wurde er Opfer eines groß angelegten Hackerangriffs. Nach Informationen seiner Bewegung En Marche handelte es sich um eine „massive und koordinierte Attacke“, um „Zweifel und Desinformation zu säen“. Angeblich steckt eine russische Sicherheitsfirma hinter dem Manipulationsversuch, der enge Kontakte zu Putins Inlandsgeheimdienst FSB nachgesagt werden. Die Beweise reichten zwar nicht aus, um zu belegen, dass die Hacker für die Regierung in Moskau arbeiteten, schreibt die „New York Times“, es gebe aber deutliche Hinweise, dass sie „Teil einer breiteren Kampagne von Putins Informationskrieg“ waren.

 

Solche Attacken aus dem Netz sind auch im bevorstehenden Bundestagswahlkampf denkbar. Wem oder was ist überhaupt noch zu trauen? Meinungsroboter und Trolle speisen vermeintliche Nachrichten in die Pipelines der sozialen Netzwerke ein, die vor allem Verwirrung stiften sollen. Jedenfalls entbehren sie oft jeglicher Grundlage. Politikern werden Zitate untergeschoben, mit denen sie nichts zu tun haben. Strohmänner geben sich als Parteimitglieder aus, um Schaden anzurichten.

Menschen von automatisierten Computerprogramm zu unterscheiden wird immer schwerer

Nach der ersten TV-Debatte im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf kam bei Twitter ein Drittel der Tweets, die Trump Beifall spendeten, von automatisierten Computerprogrammen, sogenannten Social Bots. Es wird immer schwieriger, diese von realen Fans zu unterscheiden. Die Bewirtschaftung der immensen Menge an Datenspuren, die jeder Internetnutzer in der virtuellen Welt hinterlässt, eröffnet völlig neue Möglichkeiten für den digitalen Wahlkampf. Der Physiker und Soziologe Dirk Helbing, der sich an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich mit elektronischer Verhaltenssteuerung befasst, spricht von „Rattenfängerei“. In seinem neuen Buch über die Folgen der digitalen Revolution warnt er: Als Nächstes drohe die Automatisierung der Gesellschaft.

„Online und Offline verschwimmen immer mehr miteinander“, sagt Tobias Nehren, der Leiter der Digitalkampagne im Wahlkampfteam der SPD. Die Konkurrenz im Adenauerhaus bewertet die zunehmende Bedeutung digitaler Wahlkampfstrategien ganz ähnlich. „Die Grenzen zwischen Online und Offline lösen sich immer mehr auf“, heißt es in der CDU-Zentrale. Für die Regisseure des Wahlkampfs wäre es zu kurz gegriffen, eine reine Online-Kampagne zu planen, sagt der Genosse Nehren. „Online mobilisiert für Offline und Offline für Online.“ Er und seine Kollegen wollen sich nicht in die Karten schauen lassen. Die CDU verrät nur so viel: Sie denke an einen Ausbau von Videoangeboten, die über soziale Netzwerke Verbreitung finden sollen und sich vor allem an die Nutzer mobiler Endgeräte richteten. Der Wahlkampf via Snapchat oder Instagram befindet sich offenkundig noch in der Experimentierphase.

Die Grenzen zwischen politischer Propaganda und Fake-News sind fließend

Die beiden Volksparteien wollen auf Wahlkampfhilfe von Meinungsrobotern verzichten. „Die CDU lehnt den Einsatz von Social Bots zur Meinungsmanipulation im Netz ab“, verlautet aus dem Adenauerhaus. Gleiches versichern neben der SPD auch Grüne und FDP. Eine Nachfrage bei der AfD blieb unbeantwortet.

„Wir machen doch nur Fake-News im Wahlkampf“, sagt Mark Seibert, Experte für Social Media bei der Berliner Agentur DIG, welche die Linkspartei im Wahlkampf berät. Sein provokanter Satz ist mehr als ein Befund, eher eine ironische Überspitzung. Im Wahlkampf würden komplexeste Themen auf einen Punkt zugespitzt. Für Zwischentöne und Differenzierungen sei kein Platz. Zu den gleichen Sachverhalten gebe es mindestens vier unterschiedliche Statistiken. Die Grenzen zwischen politischer Propaganda und Fake-News seien fließend. Die Debatte über Fake-News wertet er als „absolut hysterisch“. Allerdings sei das Wahlvolk heutzutage mehr als früher mit Falschmeldungen konfrontiert. Der Politikvermarkter sieht darin aber keine Gefährdung der Demokratie, sondern eine Veränderung des politischen Diskurses.

„Was in der Facebook-Gosse stattfindet, bereitet uns keine schlaflosen Nächte“, sagt der Linken-Berater. Den dämonisierten Social Bots sei im politischen Geschäft wohl keine große Zukunft beschieden. So ließen sich zwar massenhaft Meldungen absetzen, diese automatisierte Propaganda verfüge aber über keine Glaubwürdigkeit, ihr hafte der Geruch von Betrug an. Zielgenaue Parteireklame sei mithilfe der im Netz von jedermann hinterlassenen Daten zwar möglich, aber viel zu aufwendig. Seibert meint: „Das sprengt das Budget jeder Partei.“

Experten halten die Rolle von Meinungsrobotern für überschätzt

Auch Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hohenheim, hält die Rolle von Meinungsrobotern für deutlich überschätzt. An solchen automatisierten Diskussionen beteiligten sich letzten Endes nur wenige. „Das schlägt sich nicht massiv im Wählerverhalten nieder.“ Andere Manipulationsmethoden wie Neuromarketing seien verwerflich genug. Diese Form des Marketings basiert auf der Annahme, dass ökonomische Entscheidungen zum Großteil auf unbewusst ablaufenden Prozessen beruhen. Brettschneider sagt es so: „Man spielt mit dem Wähler.“

Falschmeldungen habe es immer gegeben. Sie entfalteten in sozialen Netzwerken nur deshalb eine Unwucht, weil vieles innerhalb hermetischer Gruppen ständig wiederholt werde, auch wenn es längst widerlegt sei. Das könne zu einer starken Mobilisierung führen. „Das ist das Neue an Fake-News“, so Brettschneider. Solche Mobilisierungen in bestimmten Segmenten der Wählerschaft könnten Einfluss auf das Wahlresultat entfalten. Vor allem, wenn es knapp ist.