Mondo Sangue produzieren Soundtracks für Filme, die nie gedreht wurden. Auf einen Beitrag zur Musik in Kannibalenfilmen folgt jetzt ein Tribut an den Spaghetti-Western. Wer dabei an Ennio Morricone denkt, liegt nicht ganz falsch.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Weil eine intime Kennerschafts des Sujets nicht allgemein vorausgesetzt werden darf, sei gleich zum Einstieg die unvermeidliche Referenz genannt: „Spiel mir das Lied vom Tod“ ist die wohl bekannteste Filmmusik, die je zu einem Italo-Western geschrieben wurde. Die Mundharmonika-Melodie und die Bilder dazu haben viele im Kopf, ihr Komponist Ennio Morricone gilt bis heute als Großmeister der melodramatischen Filmmusik, mit der die langsam dahinfließenden Dramen aus dem Wilden Westen untermalt werden – zuletzt etwa für die Hommagen des Regisseurs Quentin Tarantino an das Genre.

 

Auch Mondo Sangue widmen dem italienischen Spaghetti-Western ihr neues Werk. Hinter dem Namen stecken die Stuttgarter Musiker Yvy Heußler und Christian Bluthardt: sie Sängerin, er Komponist für Filmmusik. Bemerkenswert allerdings: Ihr Album „No Place for a Man“ ist der Soundtrack für einen Film, der nie gedreht wurde. Das haben die beiden schon bei ihrem Erstlingswerk „L’Isola dei Dannati“ so gehalten, nur dass die im Juni 2016 erschienene Platte sich eben dem Genre des (ebenfalls von italienischen Regisseuren geprägten) blutrünstigen Kannibalenfilms widmete, wie er in den Siebzigerjahren bevorzugt in Bahnhofskinos gezeigt wurde.

Jetzt also der Western, „die ikonischste Stilrichtung der Filmmusik“, wie Christian Bluthardt betont. „Ein Pfeifen oder ein paar Töne auf der Mundharmonika reichen. Der Zuhörer versteht sofort“, schwärmt Bluthardt, der aus seiner Verehrung für das Genre kein Hehl macht – sowohl für die Filme als auch für die Musik. „Fast alle italienischen Western lassen Platz für Pathos. ‚Spiel mir das Lied vom Tod’ zum Beispiel hat nur wenig Handlung, stattdessen übernimmt die Musik eine stark erzählerische Rolle. Heute werden Filme außerdem viel hektischer geschnitten als damals“, sagt Bluthardt.

Ein Mann, ein Pferd – beide tot

Auf „No Place for a Man“ muss die Musik ganz für sich sprechen. Über ein unbeirrbar dahintrabendes Schlagzeug legen Mondo Sangue schwelgerische Chormelodien und brechen staubtrockene Gitarrenakkorde. Der Titelsong „No Place for a Man“ gedeiht dank des Gastauftritts eines als Alberto Rocca bezeichneten Sängers gar zu einem Remake des Duetts „Where the wild roses grow“ von Nick Cave und Kylie Minogue.

Songtexte sind ansonsten Mangelware, weshalb die zu erzählende Geschichte sich höchstens über die Songtitel erschließt. Die Ouvertüre erklärt, dass man sich „Somewhere in the West“ befindet. Dann wird der Protagonist vorgestellt („Il Portoghese“), der als Fremder in einem Dorf ankommt („The Stranger arrives“) – und sich sodann fragt, warum dort nur Frauen leben („Where are the Men?“). Die Antwort wird auf der B-Seite des als Schallplatte beim Stuttgarter Label Allscore erschienenen Albums gegeben, und sie ist blutig: Nachdem der Portugiese eine Liebelei mit „Stella“ anfängt, findet er erst sein Pferd und dann sich selbst in einer tödlichen Sackgasse wieder und wird ein Opfer von „The Cult“. Der letzte Song: „Requiem per un Portoghese“.

Das Genre wurde Opfer seines eigenen Erfolgs

Christian Bluthardt ist selbst Italowestern-Experte. Der Topos des Fremden inmitten lauter Frauen erinnert ihn etwa an den 1971 erschienenen Film „Blind Man“, in dem sich Ringo Starr (kurz nach der Auflösung der Beatles) auf die Suche nach 50 Frauen macht, die ihm versprochen wurden. „Er ist blind und schießt trotzdem besser als alle anderen“, sagt Bluthardt und kichert. „No Place for a Man“ greift auch die Skurrilitäten des Genres auf. Das scheint schon deshalb passend, weil der italienische Western irgendwann Opfer seines eigenen Erfolgs wurde – nämlich als eine Flut überzeichneter, auf Effekthascherei getrimmter Low-Budget-Produktionen den Markt überschwemmte.

All diese Filme haben charakteristische, stilistisch ähnliche Soundtracks, die oftmals wie am Fließband produziert und teils zweit- oder drittverwertet wurden. Auch das trägt dazu bei, dass man einen Spaghetti-Western sofort an der Musik erkennt. Darum sollten auch für Nichtexperten viele Akkordfolgen, Gitarrensounds oder Melodiebögen auf „No Place for a Man“ vertraut klingen. Wenn der britische Filmmusikexperte John Mansell schreibt, die Platte versammle „ungefähr jeden Sound, jede Spieltechnik und eine Fülle von Stilen, die irgendwann in Spaghetti-Western aufgetaucht sind“, sehen das die Musiker als größtes denkbares Lob für ihre Arbeit.

Der Connaisseur erkennt beim Hören natürlich viele Anspielungen. Aber eigentlich ist es egal, welche Spaghetti-Western man gesehen hat oder wie viele – das Genre definiert sich eher als Gesamtkunstwerk, und so unterschiedlich sind die aus Kostengründen meist in Andalusien gedrehten Streifen nun auch nicht. „Wir sind sicher, dass bei jedem sofort das Kopfkino angeht, sobald er die Musik hört“, verspricht Yvy Heußler.

Ein postmodernes Stück Musik

Mondo Sangue haben eine Art Meta-Soundtrack geschaffen, ein postmodernes Stück Musik. Sie zollen durch Imitation einem Genre Tribut, das selbst nicht zuletzt dank zahlreicher Epigonen Verbreitung fand, die auf dem Erfolg von Kassenschlagern wie „Für eine Handvoll Dollar“ oder „Spiel mir das Lied vom Tod“ aufsetzten. Daher sei auch verziehen, dass Mondo Sangue nicht wie die Original-Komponisten ein ganzes Orchester engagiert haben. Logischerweise klingt die Produktion dadurch sauberer als die Soundtracks aus den Sechzigern und Siebzigern. „Wir haben nicht Alessandro Alessandronis Gitarren für 5000 Euro auf Ebay ersteigert. Dafür hört man eine portugiesische Ukulele mit Stahlsaiten“, flunkert Christian Bluthardt. Die staubige Western-Atmosphäre fängt die Platte trotzdem ein, nicht zuletzt dank des handgemalten Covers im längst verschwundenen Stil alter Filmposter.

Die beste Gelegenheit, sich ins Thema einführen zu lassen, bietet sich am Montag (9. April) in der Rakete, der Bar des Theaters Rampe am Stuttgarter Marienplatz. Dort sprechen Mondo Sangue bei freiem Eintritt und Bohneneintopf mit Andreas Vogel über Italowestern, Filmausschnitte werden gezeigt und der Soundtrack gespielt. Am 18. April sind die beiden Musiker in der Sammlung Fröhlich zu Gast. Fehlt nur noch die Präsentation in einem realen Kino.