Immer mehr Hobbyimker stellen ihre Stöcke lieber auf Dächer als in die Landschaft – aus gutem Grund. Manfred Nuber hegt zwei Völker auf der Terrasse des Landratsamts. Dieses Jahr haben sie eine Rekordmenge an Honig produziert.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Das Endergebnis „ist wirklich eine typische Böblinger Stadtmischung“, sagt Manfred Nuber. „Das schmeckt man.“ Im Hauptberuf ist Nuber Berater für Obst- und Gartenbau. Jetzt steht er im Sitzungssaal des Landratsamts, kaut auf einem Stück Brötchen mit Honig und zählt die Blütenarten auf, die ihm sein Gaumen meldet. Die Produzenten des Aufstrichs schwärmen vor der Fensterfront aus, auf der Suche nach letzten Resten von Verwertbarem für einen Wintervorrat an Nahrung. Auf der Terrasse des Amts hat Nuber 2014 zwei Bienenstöcke aufgestellt. Die beiden Völker sind bereits merklich ausgedünnt. Etwa 50 000 Bienen leben noch in den schlichten Holzkisten noch. Im Juni waren es beinahe doppelt so viele. Bis zum Winter sinkt die Zahl der Tiere auf 16 000 bis 20 000.

 

Nuber besitzt noch mehr Völker als die auf der Amtsterrasse. Auch dem Hausherren, dem Landrat Roland Bernhard, „liegt das Nutztier Biene am Herzen“, wie er sagt, „gerade in einem industriellen Landkreis ist die Hege und Pflege der Natur wichtig“. In Städten lebten Bienen längst besser als in der Restnatur landwirtschaftlich geprägter Gegenden. In denen könnten Bienen nach der Obstbaumblüte die Arbeit des Jahres beenden. „Ab Mitte Mai steht auf den Feldern nur noch das Getreide, dann ist für die Biene nichts mehr zu holen“, sagt Nuber.

Wildbienen haben kein gedeihliches Dasein mehr

Was nicht der einzige Grund dafür ist, dass Wildbienen in Deutschland kaum mehr Chancen auf ein gedeihliches Dasein haben. Auch die aus Asien eingeschleppte Varroa-Milbe vernichtet die Völker. Mit Ameisensäure ist der Parasit zwar problemlos zu bekämpfen, aber „ohne Imker kann die Biene nicht mehr überleben“, sagt Nuber. Auch ihm meuchelt der Schädling alle paar Jahre ein Drittel eines Volkes. Die Milbe gilt nicht als einzige Ursache des weltweiten Bienensterbens. Die Verbände der Berufsimker schreiben Pflanzenschutzmitteln und Monokulturen eine mindestens ebenso große Vernichtungskraft zu. Das Thema ist politisch umstritten. Im Landkreis Böblingen allerdings „waren Pestizide noch nie ein Problem“, versichert Nuber.

Seit das Bienensterben zum medialen Thema geworden ist, fühlen sich immer mehr Städter zum Hobbyimker berufen. Ihre Zahl ist unbekannt, weil niemand einen Bienenstock registrieren lassen muss. Abgesehen vom ökologischen Gedanken bewegt sie die Faszination eines Insekts, das intelligent zu sein scheint, gleichzeitig mit gnadenloser Grausamkeit sein Überleben sichert. Nuber zieht eine Wabe aus einem Stock und erklärt ihren Inhalt. Wo Nahrung eingelagert ist, überziehen die Bienen den Vorrat mit einer luftdichten Wachsschicht. Wo die Larven reifen, lässt der Überzug Luft durch. An diesen Stellen drängen sich die Leiber der Insekten, um den Nachwuchs zu wärmen, dessen Temperatur nicht unter 35 Grad sinken darf.

Mord gehört zur Überlebensstrategie der Völker

Die Königin ist gerade nicht zu finden. Im Frühjahr und Frühsommer legt sie bis zu 2000 Eier täglich. Den Samen für die Befruchtung hat sie bei einem einzigen Ausflug gebunkert, dessen Ziel eine Massenbegattung ist. Er reicht für drei bis vier Jahre. Danach ist die Herrscherin über das Volk ohnehin zu alt, um genügend Nachwuchs zu produzieren. Sie scheint dann ihren eigenen Tod zu beschließen und beginnt mit der Produktion einer Thronfolgerin. Stirbt die Königin nicht rechtzeitig, ermordet ihre Tochter sie. So hat es die Natur im Streben nach dem größtmöglichem Nutzen für das Volk bestimmt. Gleiches gilt für den Mord an den Männern im Stock. Die Drohnen werden im Herbst mit Nachdruck gebeten, für immer ihre Familie zu verlassen. Wer nicht freiwillig in den natürlichen Tod geht, den erstechen die Arbeiterinnen und entsorgen dann seinen Kadaver.

80 Kilo Honig haben die Bienen des Landratsamts in diesem Jahr zusammengetragen. Das ist Rekord, und der ist mit den städtischen Bedingungen verknüpft. Außer im Winter blüht immer irgendetwas in Böblingen. „Zusätzliche Stadtimker wären herzlich willkommen“, sagt der Landrat. Die natürlichen Grundlagen für das Ansiedeln weiterer Völker sind reichlich vorhanden. Die Pflanzen der Stadt könnten mindestens fünf-, bis zu zehnmal mehr Bienen ernähren, als bisher umhersurren.