In der Stuttgarter Staatsgalerie haben Jugendliche der Immenhoferschule vor Publikum die Generalprobe ihrer „Triadischen Visionen“ abgehalten: Das inklusive Stück zeigen sie bei der Bundesgartenschau Heilbronn.

S-Süd - Flugzeugmotoren brummen, Bomben detonieren, heftiger Trommelwirbel, marschartige Elektrobeats: Die Klänge im Vortragssaal der Staatsgalerie Stuttgart erinnern an Krieg. Das sollen sie auch – an den Ersten Weltkrieg. Hart stampfen dazu Truppen in schwarzen Ganzkörperanzüge auf die Bühne, die Gesichter und Hände unter weißen Dreiecken steckend: Harte Kanten allenthalben, die wie Waffen anmuten und deren anonymen Träger damit harte Bewegungen in Reih und Glied ausführen. Kaum ist die Armee weg, steigt die Stimmung. Dreiecke, Quadrate, Rauten, halbe wie ganze Kreise und andere geometrische Elemente in den Grundfarben blau, rot und gelb wirbeln durcheinander, bilden architektonische Formen. Aufbruchsstimmung! Denn als das Bauhaus 1919 gegründet wurde, sollte eine neue Zeit anbrechen.

 

Die Schüler erarbeiteten die „Triadischen Visionen“

„100 Jahre Bauhaus – Triadische Visionen der Immenhoferschule“ heißt denn auch die Performance, die zehn Schülerinnen und Schüler der Klassen sechs bis acht nun in der Staatsgalerie zeigten. Als Generalprobe für die Bundesgartenschau Heilbronn, wo das Stück mehrmals zu sehen ist. Die Schüler erarbeiteten die „Triadischen Visionen“ in den vergangenen Monaten mit dem Theaterpädagogen Luis Hergón als Teil des inklusiven Pilotprojekts „Sichtbar werden“. Es wurde 2017 für zwei Jahre initiiert mit dem Ziel zu erproben, wie Museen und Bildungseinrichtungen zusammenarbeiten können, um Menschen mit besonderen Bedürfnissen an Kultur teilhaben zu lassen. Die Ergebnisse sollen etwa genutzt werden, um innovative Kulturprojekte für Hörgeschädigte zu konzipieren. Dafür kooperieren im übergeordneten Projekt „Hören“ Staatsgalerie Stuttgart, Kultusministerium Baden-Württemberg, ausgewählte Sonderpädagogischer Bildungs- und Beratungszentren mit Förderschwerpunkt Hören, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Stuttgart, Berufsverband Deutscher Hörgeschädigtenpädagogen e.V. und Landesverbands der Gehörlosen Baden-Württemberg e.V..

Die Immenhoferschule ist ein solches sonderpädagogisches Zentrum: Sie besuchen Kinder und Jugendliche mit Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit oder ausgeprägten auditiven Wahrnehmungsstörung. „Wir mussten die Schülerinnen und Schüler zunächst für das abstrakte Thema Bauhaus gewinnen“, so Julia Solscheid, Rektorin der Immenhoferschule. „Aber als wir ihnen erklärten, dass es – nach dem Krieg – wie eine Revolte der Pubertierenden gegen die Erwachsenen war, weil die Jungen eine bessere Welt wollten, waren sie schnell dabei.“ Zumal das heute wieder – auch angesichts der Klimademonstrationen – höchst aktuell sei. Die Herausforderung bei einem Stück mit Jugendlichen sei, einen Dialog zum Fließen zu bringen, erklärte Hergón. „Ich hatte zwar den Vorteil, dass ich mit den Schülern schon mal, als sie noch klein waren, arbeitete. Aber nun sind es junge Erwachsene mit eigenen Vorstellungen – doch es hat prima funktioniert.“

Fantastische Outfits verzauberten im Schlemmer’schen Sinne den Raum

Das war zu spüren. Lebendig präsentierten die Schüler in drei Teilen – „Lineare Maskerade“, „Geometrische Dialoge“ und „Tanz der Skulpturen“ – ihre Schritte und Kostüme, die sie selbst entwarfen und herstellten, angelehnt an Oskar Schlemmers triadisches Ballett, dessen Figurinen sich in der Staatsgalerie befinden. Eine Hommage an letztere stellte Teil drei dar. Fantastische Outfits verzauberten im Schlemmer’schen Sinne den Raum: Reifröcke aus Schläuchen oder Kartonage, fantastische Kopfputze aus Kugeln und Draht, Oberteile, wie Fächer aufklappbar. „Es geht neben Farben, Formen, Bewegung, Musik ja auch um Hindernisse, Kommunikation, Klarheit, Reduktion, Lautsprache und Gebärdensprache“, so Rektorin Solscheid. „Das betrifft uns nicht nur in der Schule täglich. Auch in der Gesellschaft lautet die Frage: Wie kann ich etwas reduziert, dabei klar und verständlich für jeden ausdrücken.“