Die Kirchenbänke werden zunehmend leerer. Die Gemeinden suchen deshalb neue Wege – auch teils drastische. So steht in Fellbach erstmals der Abriss einer Kirche an.

Waiblingen - Für einen Großteil der Deutschen spielten Religion und Kirche keine Rolle mehr, schrieb jetzt eine große deutsche Wochenzeitung auf ihrer ersten Seite. Das trifft, schaut man sich die Zahlen der Kirchenaustritte und Gottesdienstbesucher an, auch auf den Rems-Murr-Kreis zu. Schon 2013, als der evangelische Dekan Timmo Hertneck nach Waiblingen kam, sagte er: „Die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt.“ Daran hat sich seither nichts geändert. Der Rems-Murr-Kreis ist vorwiegend protestantisch geprägt, nur rund ein Fünftel der Bewohner sind Katholiken. Auch deren Zahl schrumpft kontinuierlich. Je mehr Mitglieder fehlen, umso höher fallen die Einbrüche bei der Kirchensteuer aus.

 

Kirchenaustritte, mehr Sterbefälle als Taufen, der Wegzug von Bürgern: die steigenden Einwohnerzahlen können das nicht auffangen, neu Zugezogene gehören oft anderen Religionen an. Bei beiden christlichen Konfessionen liegen die Kirchenaustritte aufs Jahr gerechnet bei gut einem Prozent. Die Coronapandemie könnte das noch verstärken. Schon im vorigen Jahr gab es mehr Todesfälle. Viele Taufen wurden aufgrund der Hygiene- und Abstandsregeln und dem Verbot von größeren Menschenansammlungen und Feiern abgesagt. Ihre Zahl dürfte ansteigen, sobald Feste und Familienfeiern wieder möglich sind. Sowohl bei den Protestanten als auch bei den Katholiken werden die genauen Zahlen der Kirchenmitglieder für 2020 noch ausgewertet. Letztendlich werden erst im Vergleich mit 2021 oder gar 2022, wenn die Pandemie hoffentlich bewältigt ist, aussagekräftige Schlüsse gezogen werden können.

Ein Brief ersetzt persönliche Kontakte

Augenfällige Veränderungen in den Kirchengemeinden gab es indes lange vor Corona. So nimmt etwa die Zahl der Gottesdienstbesucher seit Jahren ab. Diese gesellschaftliche Entwicklung wird jetzt durch die Pandemie nur stärker spürbar. Erschwerend kommt hinzu, dass es aktuell schwierig ist, als Kirche Präsenz zu zeigen. „In Coronazeiten ist es schwer für uns, den engen Kontakt mit den Gläubigen zu pflegen“, sagt Margot Gauß, Vorsitzende des Kirchengemeinderats der katholischen Christus-König-Kirche in Fellbach-Oeffingen. In der Nachbargemeinde Schmiden geht man deshalb bewusst neue Wege. Alle Katholiken in Schmiden haben vor Ostern einen Brief von ihrer Kirchengemeinde bekommen. „So versuchen wir, den Kontakt herzustellen beziehungsweise in Kontakt zu bleiben“, sagt der Pastoralreferent Martin Wunram. Er ist für die Dreifaltigkeits-Kirchengemeinde Schmiden zuständig, die zum Jahreswechsel 2020/2021 insgesamt 3197 Mitglieder zählte. Im Durchschnitt besuchten voriges Jahr in der Seelsorgeeinheit Fellbach 328 Personen, gerade zehn Prozent der Gemeindemitglieder, einen Sonntagsgottesdienst. Schmiden steht nur als Beispiel für viele. „Insgesamt sollten uns die Zahlen zu denken geben“, mahnt Wunram stellvertretend für seine Kollegen.

Viele Pfarrerstellen bleiben unbesetzt

Gründe, warum Kirchenbänke leer bleiben, gibt es viele. In den christlichen Kirchen findet ein Wandel statt. Sie sind der gesellschaftlichen Entwicklung geschuldet und bedingt auch durch Umstände, die in der Struktur liegen. Bei den Katholiken fehlt es an Priestern, viele Pfarrerstellen können nicht mehr besetzt werden und bleiben vakant. Zudem gibt es Entscheidungen aus Rom, die auf Unverständnis stoßen. Etwa das Dekret, dass homosexuellen Paaren der Segen nicht gespendet werden darf. Gleichwohl sollen nur einzelne Menschen, die aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, in die evangelische Kirche eingetreten sein.

Bei der evangelischen Landeskirche wurde schon vor Jahren begonnen, die Kosten der kircheneigenen Immobilien auf den Prüfstand und in Relation zu den Gemeindemitgliedern zu stellen. Der Unterhalt von Gebäuden ist teuer, die Instandsetzung oft nicht mehr finanzierbar. Auch hier kann Fellbach als Beispiel genommen werden. Die Melanchthonkirche dort wird just deshalb aufgegeben und das Gelände samt Gebäude der Stadt Fellbach für den Neubau eines Kindergartens überlassen. Melanchthon dürfte kein Einzelfall bleiben, sondern erst der Anfang einer Entwicklung sein.