Kinder greifen gerne zu bunten, aber ungesunden Snacks. Foto: Oliver Berg/dpa
Weltweit gibt es mehr übergewichtige als untergewichtige Kinder. Das Beispiel eines Jungen aus Stuttgart zeigt, wie der Weg zu mehr Gesundheit und Wohlbefinden gelingen kann.
Niko* ist ein fröhliches Kind. Sein Übergewicht fand der Zwölfjährige nicht allzu schlimm, wurde er doch in der Schule nie deswegen gehänselt. Seine Eltern machten sich dennoch Sorgen, als ihr Kind immer mehr zunahm und suchten mit ihm vor einem Jahr die Adipositasberatungsstelle des Gesundheitsamts Stuttgart auf.
Inzwischen merkt Niko, dass es ihm vielleicht doch nicht so gut ging: „Ich bin jetzt viel fitter und der Sport fällt mir leichter“, sagt er. Der erste Schritt sei gewesen, seinen Konsum an süßen Getränken einzuschränken. „Früher habe ich fünf Liter am Tag getrunken – davon ganz viel Cola oder Eistee“, sagt er. Ob es ihm nun schwerfällt, darauf zu verzichten? „Eigentlich nicht.“
Beratung für eine gesündere Lebensweise – keine Diät
Ein vergleichsweise kleiner Verzicht also, der jedoch eine große Wirkung auf sein Wohlbefinden hat. Sozialpädagogin Adelheid Heitz berät den Zwölfjährigen und seine Eltern im Gesundheitsamt und sieht Niko auf einem guten Weg: „Er hat alle Ziele, die wir besprochen haben, gut umgesetzt und merkt jetzt erste Erfolge.“
Dabei stehen die sieben Kilo, die er seitdem abgenommen hat, gar nicht mal im Vordergrund. „Es geht um eine langfristige Verhaltensänderung, eine gesunde Ernährung und Bewegung“, sagt sie. Die Tipps, die sie Niko oder anderen Kindern in der Beratungsstelle gibt, drehen sich nicht um Diäten oder Abnehmkuren, sondern gelten im Grunde für jeden Mensch, der sich gesund und fit halten will. „Unser Ziel sind nicht lauter dünne Kinder, sondern gesunde“, betont sie.
Weltweit mehr übergewichtige als untergewichtige Kinder
Viele Kinder sind wie Niko von Übergewicht betroffen, doch sie sind noch weit von den Zielen entfernt, die er bereits erreicht hat. Das Kinderhilfswerk Unicef gab kürzlich bekannt, dass es erstmals weltweit mehr übergewichtige als untergewichtige Kinder gibt. Jeder Fünfte im Alter von fünf bis 19 Jahren ist demnach übergewichtig.
In Stuttgart schätzt man, dass rund 14.000 Kinder und Jugendliche zu viel Gewicht haben – mit teils schweren Folgen für die Gesundheit. „Wir sehen relativ häufig Kinder mit Fettleber, das ist ein zunehmendes Problem“, sagt Axel Enninger, Ärztlicher Direktor der Pädiatrie im Olgahospital des Klinikums Stuttgart. Nicht ganz so häufig behandele er auch Kinder, die bereits Diabetes Typ 2 aufweisen. Bei starkem Übergewicht komme es auch zu Gelenkproblemen. „Außerdem kommen meist auch psychosoziale Probleme dazu – etwa wenn das Kind in der Schule gemobbt wird“, sagt Enninger.
Sowohl im Gesundheitsamt, als auch in der Arztpraxis besteht der erste Schritt darin, die Familie zu beraten, ohne ein schlechtes Gewissen zu machen. Denn schließlich ist es auch häufig genetisch bedingt, dass ein Mensch mehr zunimmt, als ein anderer. „Es ist einfach recht unfair verteilt, manche Kinder nehmen schneller zu als andere. Doch man muss das Problem ernst nehmen und gemeinsam das weitere Vorgehen besprechen. Die meisten Eltern wissen bereits, woran es liegt“, sagt Enninger.
Er empfiehlt gemeinsame Mahlzeiten in der Familie und dazwischen Essenspausen. „Heutzutage hat jeder eine Snackdose für das Kind auf dem Spielplatz dabei. Da frage ich mich, ob die Kinder früher auf dem Spielplatz verhungert sind?“, kritisiert Enninger. Außerdem rate er, dass Eltern ihren Kinder kommentarlos gesundes Essen anbieten – ohne übermäßiges Lob, wenn das Kind zur Karotte greift und natürlich auch ohne Zwang. Essen sollte zudem niemals aus Langeweile, Trost oder zur Belohnung eingesetzt werden.
Axel Enninger behandelt im Olgahospital des Klinikums Stuttgart übergewichtige Kinder. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko
Bei Niko waren es neben den süßen Getränken auch die zu großen Essensportionen und Süßigkeiten, die zu Übergewicht führten. „In der Schule nehme ich jetzt keinen Nachschlag mehr“, sagt er. Die Snacks am Nachmittag verwehre ihm seine Mutter öfter. Außerdem habe er viel mehr Bewegung in sein Leben integriert. Die Beratungsstelle vermittelte ihm ein Personal Training, das ihm „großen Spaß“ macht.
„Das reguläre Sportangebot, bei dem oft ein Leistungsgedanke im Vordergrund steht, überfordert viele Kinder mit Übergewicht“, erklärt Adelheid Heitz. Deshalb vermittele sie bei Bedarf kostenlose Bewegungsangebote für Kinder und Jugendliche mit Übergewicht in Zusammenarbeit mit dem Amt für Sport und Bewegung und dem Kinderbüro der Stadt.
Niko ist nun auch dazu übergegangen, in den etwa vier Kilometer entfernt liegenden Schrebergarten der Familie fast täglich hin- und zurückzulaufen. „Das schaffe ich gut“, sagt er selbstbewusst. Auch früher sei er schon ein bisschen gelaufen, doch Computerspiele und Fernsehen bestimmten einen Großteil seiner Freizeit.
Auch Axel Enninger rät, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen die Veränderungen direkt in ihrem Alltag vornehmen: „Stationäre Abnehmkuren für Kinder sind eher ineffektiv.“ Damit es jedoch gar nicht erst so weit kommt, plädiert er für ein Werbeverbot für Kinderlebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt, für das es bereits einen Gesetzesentwurf gibt, dem sich bisher jedoch vor allem die FDP entgegenstellte. Auch kann er sich vorstellen, dass eine Zuckersteuer präventiv viel bringen könnte, damit Hersteller den Zuckergehalt in ihren Produkten senken. In England wurde diese Steuer bereits eingeführt.
Im Gesundheitsamt Stuttgart ist man zwar dankbar, dass der Gemeinderat die Adipositasberatungsstelle finanziert, doch auch hier sieht man noch Handlungsbedarf, um Familien mit übergewichtigen Kindern besser zu unterstützen: „Es gibt zu wenig Therapieplätze. Viele Familien werden mit dem Problem allein gelassen“, sagt Adelheid Heitz.
*Name wurde von der Redaktion geändert.
Hilfsangebote für übergewichtige Kinder und Jugendliche
Beratung Betroffene Familien können sich ohne Überweisung an die Adipositasberatungsstelle wenden. Diese existiert seit September 2018 im Gesundheitsamt. In der Beratung wird zunächst die Gesamtsituation erfasst, um die Ursachen des Übergewichts zu ermitteln, bisherige Therapiemaßnahmen werden erhoben. Wenn gewünscht, wird ein individueller Therapieplan erstellt. Die Beratungsstelle versucht auch, in Therapieangebote zu vermitteln.