Schwimmunterricht ist eigentlich verpflichtend. Doch was heißt das schon, wenn Sportlehrer fehlen und Bäder rar sind? Wir sprachen mit dem Präsidenten der Schwimmtrainer-Vereinigung über den Notstand in den Schulen und die fatalen Folgen.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Zehntausende Helfer der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) sind im Sommer an Badeseen, in Schwimmbädern und an der Küste im Einsatz, um Menschen zu helfen, die im Wasser in Not geraten. Sie haben immer mehr zu tun. Der Grund: Nur wenige Menschen können noch gut schwimmen. Warum können vor allem immer weniger Kinder sicher schwimmen?

 

Wir sprachen mit dem Präsidenten der Deutschen Schwimmtrainer-Vereinigung (DSTV), Hasso-Rüdiger Tretow:
Herr Tretow, der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) zufolge sind die Deutschen dabei, ein Volk der Nichtschwimmer zu werden. Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen und ein Viertel der Erwachsenen können demnach nicht schwimmen. Stimmt die Statistik?
Sie stimmt. Rund ein Drittel der Kinder können heute nicht schwimmen.
Was sind die Gründe?
Es liegt daran, dass Schwimmen-Lernen sowohl in den Schulen als auch privat rückläufig ist. Allein dadurch, dass sehr viele Bäder geschlossen worden sind.
Aus Kostengründen?
Genau. Die Kommunen schließen die Bäder. Dabei ist jeder Euro, der dabei gespart wird, später in doppelter und dreifacher Form zurückzuzahlen. Weil nämlich irgendwelche schlimme Dinge passieren und Menschen beim Schwimmen ertrinken – zum Beispiel wenn wenn sie dann zum Baden auf unbeaufsichtigte Baggerseen ausweichen.
Ist das Schulschwimmen weiter verpflichtend?
Es ist Pflicht. Doch was nützt es, wenn es im Lehrplan als Pflichtveranstaltung steht, die Schulen aber keine Möglichkeit haben Schwimmbäder aufzusuchen, weil es zu wenige gibt.
Die Kinder könnten alternativ Schwimmunterricht in einem Verein nehmen. Wird das gemacht?
Viele Schwimmvereine haben eine lange Warteliste, weil sie zu wenig Wasserzeiten haben. Und weil die Vereine auch immer weniger Bäder zur Verfügung haben, gehen auch die Schwimmabteilungen ein. Hinzu kommt, dass Schwimmunterricht relativ aufwendig ist. Das liegt nicht jedem Sportlehrer.
Müsste es aber, da Schwimmunterricht doch gesetzlich vorgeschrieben ist.
Gerade an den Grundschulen ist die Not am allergrößten. Die Ausbildung der Sportlehrer ist vor allem für die Grundschule zu lückenhaft. Viele sind gar nicht in der Lage vernünftigen Schwimmunterricht zu geben.
Ab wann ist Schwimmunterricht verpflichtend?
Schon in der Grundschule. Es ist noch gar nicht so lange her, dass alle Kinder, die die Grundschule verließen, schwimmen konnten. Aber das ist überhaupt nicht mehr so. Im Gegenteil. Deshalb hat auch das Land Nordrhein-Westfalen ein Landesprogramm schon seit einigen Jahren aufgestellt „NRW kann schwimmen“. Da werden durch Vereine Ferienschwimmkurse für Kinder der dritten bis sechsten Klasse durchgeführt, die bis dahin noch nicht schwimmen gelernt haben. Aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Und warum lernen sie nicht privat schwimmen – etwa durch die Eltern?
Das Schwimmbad muss aber auch erreichbar sein. Hinzu kommt, dass viele Eltern die Bedeutung des Schwimmens nicht mehr einsehen. Die Eigeninitiative der Eltern ist ebenfalls stark rückläufig. Das liegt auch daran, dass beide oft berufstätig sind.
Woher kommt es, dass viele Sportlehrer nicht entsprechend ausgebildet sind?
Jede Institution, die Sportlehrer ausbildet behauptet, dass sie die Wertigkeit des Schwimmunterricht sieht. Ich halte trotzdem die Ausbildung für Sportlehrer im Bereich Schwimmen in den vergangenen Jahren für denkbar schlecht.
Woran liegt das?
Das liegt auch daran, dass viele, die heute Sport studieren, nicht selber vom Sport kommen. Sie haben nicht mehr den Stallgeruch, den man für Sport braucht. Früher kam jeder Sportstudent in irgendeiner Form aus dem Verein und hatte zumindest eine Schwerpunktsport, die er leistungsmäßig betrieben hat. Aber Leistung ist heute völlig verpönt. Wer heute Sport studiert, sieht vor allem, dass er eine höhere Einstellungschance hat, weil Sportlehrer gesucht werden.
Der Schwimmunterricht steckt also in einem zweifachen Dilemma: Es gibt immer weniger Schwimmbäder und die Sportlehrer sind immer weniger in der Lage, Schwimmen zu unterrichten . . .
. . . und auch nicht mehr motiviert genug. Schwimmunterricht zu geben ist sehr viel anstrengender als normaler Sportunterricht – auch wegen der Rettungsqualifikation, die nachgewiesen werden muss. Sie Schulleiter sind dazu verpflichtet, die Lehrer entsprechend zu verdonnern an Fortbildungen teilzunehmen.
Wie könnte man diese Situation verbessern?
Man müsste die Sportlehrerausbildung verbessern. Wir bieten als Schwimmtrainer-Vereinigung jedes Jahr eine dreitägige Jahrestagung an, an der alle Trainer teilnehmen können. Diese Tagung wird auch anerkannt als Fortbildungsmaßnahme. Wir laden auch immer die Sportlehrer ein.
Und wie ist die Resonanz?
Gleich null.
Das Problem des Nicht-Schwimmen-Könnens ist bei Migranten-Kindern noch größer als bei deutschen Heranwachsenden. Braucht diese Gruppe eine besondere Förderung?
Ich habe selbst bereits zwei Schwimmkurse speziell für Migrantenkinder durchgeführt. Neben der besonderen Problematik des „Angstabbaus“ vor dem Wasser – bedenken Sie den Migrationsweg in ungesicherten Booten, bei dem Angehörige ertrunken sind – kommt hinzu, dass die Migranten aus völlig anderen Kulturen kommen. Die Probleme gehen hier von Bekleidungsproblemen (Beispiel Burka) bis hin zu „Du bist ein Mädchen oder eine Frau, Du musst nicht schwimmen können“. Aus diesem Grund sollten hier gesonderte Schwimmkurse von Lehrerinnen und Lehrern mit besonderem „Fingerspitzengefühl“ oder spezieller Zusatzausbildung eingerichtet werden.