EU-Kommissar Günther Oettinger fordert von der Bau-Szene das Sammeln digitaler Daten. Beim Immobilien-Dialog im Stuttgarter Rathaus setzt sich der ehemalige Ministerpräsident für eine flächendeckend schnelle Datenübertragung ein.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Einen Wunsch hatte Thomas Bopp, der Vorsitzende des Verbandes Region Stuttgart beim Stuttgarter Immobilien-Dialog an den prominentesten Gast der Veranstaltung im Stuttgarter Rathaus, an EU-Kommissar Günther Oettinger: Er möge in seinem Vortrag zum Thema „Wirtschaft, Gesellschaft, Arbeitsmarkt und die digitale Revolution – wie sichern wir die Zukunft Europas“ einen Schlenker nach Griechenland einbauen, „damit es amüsant wird“. Dass Oettingers Rede dann tatsächlich sehr amüsant wurde, lag aber nicht am Griechenland-Bashing. Das sparte sich der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, sondern an Inhalt und Art des kurzweiligen Vortrags.

 

Als EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft referierte Oettinger vor der versammelten Bau-Szene der Region. Oettinger beschwor dabei die digitale Revolution. „Vor 2020 werden die Karten neu gemischt, es wird viel schneller Gewinner und Verlierer geben, als uns lieb ist“, sagte Oettinger, und verwies dabei auf den Finanzsektor: „Bankdienstleistungen brauchen wir, Banken aber nicht.“ Dem Wirtschaftsstandort Stuttgart ginge es zwar gut, im Vergleich zu den Vorreitern der digitalen Revolution, Google, Apple und Facebook, hätte die hiesige Industrie aber das Nachsehen. „Die haben die Daten, und wer die Daten hat, hat die Macht“, so Oettinger.

Oettinger: Wer die Daten hat, hat die Macht

Im gewohnten Oettinger-Stakkato-Tempo schmückte er seine Appelle an die Industrie 4.0 mit Anekdoten aus seiner politischen Vergangenheit aus. 1984 sei er im Landtag von Baden-Württemberg zum ersten Mal auf den heutigen Oberbürgermeister von Stuttgart, Fritz Kuhn (Grüne) getroffen. „Damals haben wir ein Datenschutzgesetz für Baden-Württemberg erarbeitet. Solch ein Gesetz taugt heute nur für die Ablage P. Google und Co. saugen Daten ab wie ein Datenstaubsauger, wir brauchen ein europäisches Datenschutzgesetz, denn nur Europa hat die passende Betriebsgröße für den Weltmarkt“, sagte Oettinger. Vom Datenschutz sprang Oettinger zur Datenübertragung: Ein Dorf ohne schnelles Internet sei heute ein totes Dorf. Wichtiger als jede Umgehungsstraße sei eine schnelle Datenstraße. „Ich habe lieber Schlaglöcher als Funklöcher“, sagte Oettinger, der als EU-Kommissar nach eigenen Angaben alle Funklöcher Europas kennt. „Dass es in Europa nationale Gebietsgrenzen beim Mobilfunk gibt, erinnert eher an Zentralafrika. Wir brauchen endlich paneuropäische Datenautobahnen.“

Wer sich bisher gefragt hatte, was Oettingers Vortrag beim größten Treffen der regionalen Immobilienwirtschaft zu suchen hat, dem half Oettinger gegen Ende seiner Ausführungen auf die Sprünge. Bei der intelligenten Steuerung von Klima, Heizung oder sanitären Anlagen in Neubauten fielen massenweise Daten an. Google habe eben erst einen Marktführer in diesem Segment aufgekauft, um an die Daten zu kommen. „In den vergangenen Jahren wurden so viele Daten gesammelt wie in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor. Daten garantieren Vorsprung durch Vergleich. Wenn Sie kein Übernahmeangebot von Google bekommen, sind Sie nicht gut genug“, so Oettinger beim Immobilen-Dialog.

Kuhn und Bopp uneins in der Frage der Verkehrsbelastung

Die Veranstaltung fand zum achten Mal statt und ist eines der deutschlandweit größten Treffen der Immobilienwirtschaft. Der Immobilien-Dialog wird gemeinsam von den Wirtschaftsförderungen der Region und der Stadt Stuttgart sowie der Firma Heuer Dialog veranstaltet. OB Fritz Kuhn hatte in seiner Eröffnungsrede versprochen, mit den letzten großen Flächen, die in Stuttgart im Zuge von Stuttgart 21 hinter dem Hauptbahnhof frei werden, sorgfältig umzugehen. Der OB kündigte eine internationale Bauausstellung am Ende der informellen Bürgerbeteiligung an. Außerdem forderte Kuhn, dass der Neubau in der Region immer mit der verkehrlichen Entwicklung Stuttgarts einhergehen müsse. „Es fahren heute schon zu viele Autos in den Kessel rein, wir brauchen 20 Prozent weniger PKWs im Kessel“, so Kuhn.

In diesem Punkt widersprach Regionalpräsident Thomas Bopp dem grünen Oberbürgermeister. „In den kommenden Jahren werden 150 000 Menschen in der Region in Rente gehen. Wenn wir diese Zahl durch Fachkräfte aus dem Ausland ausgleichen können, werden wir die Anzahl der PKW-Fahrten gleichzeitig niemals senken können“, so Bopp.