Trotz Wohnungsnot in Stuttgart werden ganze Häuser komplett an Bautrupps vermietet. Die Stadtverwaltung hat dagegen meist keine rechtliche Handhabe. Nur: Ist, was legal ist, auch legitim?

Stuttgart - Dass in der Landeshauptstadt ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum herrscht, ist mittlerweile eine Binsenweisheit. Während die Notfallkartei beim Liegenschaftsamt wächst und sich Dutzende von Wohnungssuchenden bei Wohnungsbesichtigungen die Klinke in die Hand geben, haben findigen Vermieter eine neue Geschäftsidee entdeckt: Sie vermieten ihre Immobilien komplett an Bautrupps oder Handwerker, die auf den zahlreichen Baustellen in und um Stuttgart ihre Brötchen verdienen.

 

In dem beschaulichen Möhringer Wohngebiet östlich der Hechinger Straße sind vor einigen Monaten neue Mieter eingezogen. Das Neun-Partien-Haus an der Unteraicher Straße wird mittlerweile von Dutzenden von Bauarbeitern bewohnt. Die Nummernschilder auf den parkenden Autos vor dem in die Jahre gekommenen Haus weisen darauf hin, dass es sich um Männer aus Rumänien handelt. Jeden Morgen um sieben Uhr kommt der Bus, der die Arbeiter auf die Baustelle bringt. Das Haus erscheint überbelegt, selbst in den kleinen Zimmern im Untergeschoss sind Arbeiter einquartiert worden. Wenn die Monteure mit zuhause telefonieren wollen, gehen sie lieber auf die Straße – schließlich müssen die vielen Kollegen auf den Zimmern ja nicht unbedingt mithören.

Firma und Vermieter geben sich zugeknöpft

Erste Klagen über die Zustände sind auch dem Möhringer Bezirksvorsteher Jürgen Lohmann zu Ohren gekommen. Bis vor einigen Monaten waren die Wohnungen in dem Doppelhaus noch an Alleinstehende und Familien vermietet. Mittlerweile ist die Unterkunft komplett von den Bauarbeitern in Beschlag genommen worden. Angemietet wurden die Wohnungen nach Recherchen der Stuttgarter Zeitung von der Firma elco construct, einem Bukarester Unternehmen mit Niederlassung in Frankfurt am Main. Dort gibt man sich auf Anfrage zugeknöpft. Ein Firmenvertreter wollte weder die Anzahl der Arbeiter, die in dem Haus untergebracht sind, nennen noch die Baustelle, auf der die Männer im Einsatz sind. Auch die Eigentümerin des Hauses, die in Stuttgart eine Immobilienverwaltung betreibt, ließ eine Anfrage der StZ unbeantwortet. Sie sei im Urlaub, teilte ihr Büro mit.

In Möhringen scheint das Beispiel Schule zu machen: Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung ist ein weiteres „Männerwohnheim“ ebenfalls an der Unteraicher Straße in Planung, in unmittelbarer Nachbarschaft an der Oberen Brandstraße wurden schon vor geraumer Zeit ebenfalls Monteure in Mietwohnungen untergebracht. Auch an der Schottstraße auf dem Killesberg wird seit längerem ein Wohnhaus als Unterkunft für Arbeiter aus Osteuropa genutzt. Offiziell firmieren die Bewohner als „Wohngemeinschaft“, was rechtlich zulässig und nicht zu beanstanden ist, wie der stellvertretende Leiter des Baurechtsamts, Rainer Grund, bestätigt: „Die Tatsache, dass mehrere Personen eine vorher vielleicht von einer Einzelperson oder einem Paar genutzte Wohnung bewohnen, ist baurechtlich nicht relevant.“ Das Baurechtsamt habe lediglich darauf zu achten, dass Sicherheitsbestimmungen wie etwa ausreichende Fluchtwege oder Brandschutzvorkehrungen eingehalten werden.

Aus den Arbeitskollegen wird eine Wohngemeinschaft

Ein weiteres Kriterium für die Zulässigkeit ist die Dauer des Aufenthalts. Wenn etwa die Montagetrupps wöchentlich wechseln, stellt dies kein Wohnverhältnis mehr dar, sondern kommt einem Beherbergungsbetrieb gleich. Dies wäre unzulässig, ist aber nach Angaben von Grund bei beiden Objekten nicht der Fall.

Kritik vom Mieterverein

Ist, was legal ist, auch legitim? Darüber gehen die Meinungen auseinander. So spricht etwa die Geschäftsführerin des Stuttgarter Mietervereins, Angelika Brautmeier, von „skrupellosen Vermietern“, die normale Wohnungen in eine Art gewerblichen Wohnraum umfunktionierten, um ihre Einnahmen zu optimieren. „Schneller kann man nicht an Geld kommen“, so Brautmeier. Nach ihren Erfahrungen wird die Miete den Arbeitern häufig gleich vom Lohn abgezogen. Auf der anderen Seite gebe es in Stuttgart aber genügend Menschen mit geringem Einkommen, die eben keine Wohnung fänden.

Eine fiktive Berechnung zeigt, wie lukrativ das Geschäft für den Vermieter sein kann. Wenn in einem Haus mit neun Wohnungen die Miete pro Wohneinheit 1000 Euro warm beträgt, fließen am Ende des Monats 9000 Euro auf das Konto des Vermieters. Wenn in dem Haus 30 Personen wohnen, die jeweils 500 Euro pro Monat berappen müssen, kommt er dagegen am Monatsende auf 15 000 Euro. Aber auch für die Baufirmen sind solche „Wohngemeinschaften“ lohnend – die Unterbringung der Monteure in Pensionen oder Hotels ist in der Regel deutlich teurer.

Zwar wundert sich auch Ulrich Wecker, Geschäftsführer des Haus- und Grundbesitzervereins, über den neuen Vermietungstrend: „Dadurch macht sich der Eigentümer in der Regel keine Freunde.“ Es sei schon erstaunlich, dass sich „in bester Wohnlage“ keine anderen Mieter fänden, mit denen man als Vermieter ebenfalls eine ordentliche Rendite erzielen könne. Andererseits weist Wecker aber auch darauf hin, dass Hausbesitzer frei seien, ihre Objekte innerhalb der baurechtlich geltenden Bestimmungen zu vermieten. Lediglich bei der Umwandlung in eine Art Pensionsbetrieb mit wechselnden Mietern müssten entsprechende zusätzliche Auflagen erfüllt werden, um dafür eine Genehmigung zu bekommen. Doch wer soll das kontrollieren? An der Unteraicher Straße jedenfalls wissen Nachbarn durchaus von eine regen Fluktuation unter den Hausbewohnern zu berichten.

Verwunderung beim Haus- und Grundbesitzerverein

Dass manche Hauseigentümer in gewerblichem Wohnen einen lukrativen Markt entdeckt haben, zeigt auch ein Fall an der Obernitzstraße im Osten: Dort haben offenbar gleich mehrere Handwerksfirmen ein Haus angemietet, um ihre Arbeiter und Angestellten dort auf engstem Raum unterzubringen – ebenfalls sehr zum Missfallen der betroffenen Anwohner.