Stuttgart hat 2011 das Innenentwicklungsmodell (SIM) beschlossen. Private Bauträger sind damit verpflichtet, geförderte Wohnungen zu erstellen. In hochpreisigen Lagen stößt das Modell erkennbar an Grenzen.

Stuttgart - Auf dem früherenAzenberg-Areal im Stuttgarter Norden geben sich die Handwerker die Klinke in die Hand. Bis zum Jahresende sollen in der begehrten Wohnlage an der Seestraße sieben Stadtvillen mit 115 teuren Wohnungen bezugsfertig sein. Zum Ensemble gehört auch das denkmalgeschützte alte Institutsgebäude der Hochschule für Technik um die Ecke. Aus den früheren Büros werden Sozialwohnungen.

 

Bauträger für den gesamten Komplex ist die Epple Unternehmensgruppe aus Heidelberg. Sie hat ihr Projekt Villengarten getauft und verspricht „Baukultur am Relenberg“. Zur guten Lage gesellen sich 2,70 Meter hohe Wohnräume mit hochwertiger Ausstattung. Der Verkauf der Eigentumswohnungen läuft wie erwartet. Niedrigzinsen und steigende Mieten fördern die Flucht ins sogenannte Betongold. Zwei Drittel der frei verkäuflichen Einheiten hätten Eigentümer gefunden, sagt ein Mitarbeiter von Epple.

SIM soll Monokultur aus Büros beenden

Ganz anders sieht es dagegen bei den durch das Stuttgarter Innenentwicklungsmodell (SIM) vorgeschriebenen geförderten Eigentumswohnungen aus. Beim SIM müssen Bauträger 20 Prozent des Bauvolumens, das in der Innenstadt oft eine Monokultur aus Büros und Handel bedeutete, für Wohnungen reservieren und aus diesem Anteil 20 Prozent für geförderten Wohnraum bereitstellen. Als Ausgleich fließen Subventionen der Stadt. Beim städtischen Eigentumsprogramm beträgt der Zuschuss 10 bis 40 Prozent des Grundstückspreises.

Für den Villengarten fließt bisher allerdings wenig. Denn die Nachfrage nach den elf geförderten Wohnungen zwischen 82 und 132 Quadratmetern (425 750 bis 688 239 Euro bei zehn Prozent Förderung) ist mau. Tiefgaragenstellplatz, Grunderwerbsteuer und Notarkosten, also rund zehn Prozent der Summe, kommen aber noch dazu.

Mieterverein: Klare Fehlsubventionierung

„Wir sind mit diesen Wohnungen seit anderthalb Jahren auf dem Markt und haben bisher einen einzigen Interessenten, bei dem alle Kriterien passen“, sagt der Vertreter von Epple. Wie ist das angesichts der Wohnungsnot möglich? Der Mieterverein hat eine Erklärung: „Für Normalverdiener sind diese Wohnungen unerschwinglich“, sagt dessen Vorsitzender Rolf Gaßmann. Wenn eine Familie mit zwei Kindern zum Beispiel vier Zimmer (113 Quadratmeter) suche, zahle sie in der Halbhöhenlage bei maximaler Förderung noch 655 228 Euro. Stellplatz, Grunderwerbsteuer und Notar katapultieren die Behausung auf über 700 000 Euro.

Um die höchste Förderung zu erhalten, darf das Bruttojahreseinkommen der Familie aber nicht über 50 800 Euro liegen. Damit die strenger gewordenen Richtlinien der Banken erfüllt werden können, muss erheblich Eigenkapital vorhanden sein. Die L-Bank, deren Merkblatt die Stadt an die Interessenten verteilt, geht für dieses Jahreseinkommen von einer noch tragbaren Zins- und Tilgungsbelastung von 1260 Euro pro Monat aus. „Vermutlich scheitert die Finanzierung schon am nötigen Eigenkapital“, sagt Gaßmann. Für Familien ohne Vermögen seien „solche Preislagen unerschwinglich“. Von preiswertem Eigentum könne bei Quadratmeterpreisen von um die 6000 Euro keine Rede sein. „Das hier ist eine klare Fehlsubventionierung“, sagt Gaßmann.

Bauträger befürchtet Leerstand

Bei Epple sprechen Mitarbeiter von einer „extremen Luxussozialkomponente“. Die Schallgrenze für eine Förderung liege normalerweise zwischen 4500 und 5000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. In einer derartigen Lage sei das nicht machbar. Epple investiert in den Villengarten 90 Millionen Euro. Die Architektur kommt nicht von der Stange, kaum eine Wohnung gleicht der anderen. Die Frage sei, „ob das SIM-Modell in diesen Lagen überhaupt Sinn macht“. Epple ist durch Verträge mit der Stadt gebunden. Das SIM lässt einen Tausch von Objekten im Umkreis von 1000 Metern zu, Epple kann aber kein passendes anbieten.

Bei der Stadtwill das zuständige Amt Fragen zu dem Fall nicht beantworten. Das geht nur über die Pressestelle. Man sei davon ausgegangen, dass Einkommensbezieher in der höchsten Gruppe (bei vier Personen bis 84 013 Euro brutto) in der Lage seien, eine Wohnung mit vier oder fünf Zimmern zu kaufen. Sie müssten an die 750 000 Euro aufbringen. Eine kleinere Wohnung für 405 000 Euro sehe man „für eine dreiköpfige Familie in der Anfangsphase durchaus als finanzierbar an“. Auf Nachfrage wird bestätigt, dass die Familie nicht mehr als 44 433 Euro im Jahr verdienen darf. Es sei außerdem „zwingend notwendig, dass viel Eigenkapital vorhanden ist“.

Stadt spricht von wichtigen Erkenntnissen

Im Rosensteinquartier (Nordbahnhofstraße) hatte die Stadt bei einem SIM-Vorhaben des Siedlungswerks Preise von unter 400 000 Euro auf der Liste – für fünf Zimmer (127 Quadratmeter). Für elf geförderte Wohnungen auf dem Gelände des alten Olga-Hospitals gibt es noch keine Zahlen.

Epple befürchtet, dass die fertigen Wohnungen an der Seestraße leer stehen werden. Man spreche mit der Stadt und spiele verschiedene Szenarien durch, sagt der Bauträger. Diese bestätigt Gespräche. Der Mieterverein schlägt vor, das SIM-Konzept zu ändern und rein auf den Mietwohnungsbau zu fokussieren. Der Wohnraum solle für 25 Jahre einer Sozialbindung unterworfen werden. Man habe „wichtige Erkenntnisse aus der Entwicklung des Azenberg-Areals gewonnen“. Auf dieser Basis werde man „schauen, ob wir das Programm Preiswertes Wohneigentum oder das SIM-Verfahren weiterentwickeln müssen“, so die städtische Pressestelle. Für die SPD im Gemeinderat ist das keine Frage. „Eine Wohnung für fast 700 000 Euro ist kein preiswertes Wohneigentum. Wenn die Förderrichtlinien der Stadt solche exorbitanten Kaufpreise erlauben, muss das Programm dringend geändert werden“, sagt Fraktionschef Martin Körner.