Die Finanzierung von Neubauten wird durch den Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden Probleme immer schwieriger. Experten rechnen mit deutlichen Rückgängen im Bausektor. Was heißt das für Käufer und Mieter?

Architektur/Bauen/Wohnen: Andrea Jenewein (anj)

Bundesweit wurden im vergangenen Jahr deutlich weniger Wohnungen gebaut, als die Bundesregierung geplant hatte: Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat im Januar eingeräumt, dass das Neubauziel der Ampelkoalition von 400 000 Wohnungen jährlich 2022 und auch 2023 verfehlt werde. 2022 wurden etwa 280 000 Wohnungen fertiggestellt.

 

Ähnlich sieht die Lage in Baden-Württemberg aus. Das bestätigt Stephan Kippes, Leiter des Marktforschungsinstituts des Immobilienverbands Deutschland (IVD): „Erheblich gestiegene Finanzierungs- und Baukosten, eine restriktivere Kreditvergabe der Banken sowie sehr hohe Anforderungen an Neubauten bremsten im abgelaufenen Jahr 2022 die Genehmigungszahlen in Baden-Württemberg zunehmend aus.“ Vermehrt sei zu beobachten, dass sich Kauf- beziehungsweise Bauwillige zurückzögen. Auch sei zu befürchten, dass immer mehr bereits genehmigte Projekte zurückgestellt oder sogar ganz gestoppt würden.

Bauunternehmen legen Neubauprojekte auf Eis oder reduzieren sie

Deutschlands größter Wohnungsbaukonzern Vonovia etwa legt sämtliche Neubauprojekte auf Eis – das wurde Anfang des Monats bekannt. Auch in Baden-Württemberg, wo das Unternehmen rund 31 000 Wohnungen besitzt. „Die Inflation und die Zinsen sind enorm gestiegen, und davor können wir nicht die Augen verschließen. Hinzu kommen die Baukosten, die im vergangenen Jahr um mehr als 16 Prozent gestiegen sind,“, sagt Olaf Frei, der Sprecher von Vonovia.

Man brauche stabile Rahmenbedingungen, die man aber im Moment nicht habe, zumal „eine bewährte Förderung für energieeffizientes Bauen gestrichen wurde, wir aber gleichzeitig energetisch sanieren, um unsere Klimaziele zu erfüllen“. Die Entscheidung, Neubauten nicht mehr bauen zu können, beruhe auf ganz einfachen Berechnungen: „Bei Objekten, die wir früher für zwölf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter anbieten konnten, müssten wir jetzt eher Richtung 20 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter gehen, um unsere Kosten von 5000 Euro pro Quadratmeter hereinzuholen“, rechnet Frei vor. Das sei aber völlig unrealistisch. Seine Forderung: „Ein Eingriff des Staates wird deshalb nötig sein, um auch weiterhin Neubau wirtschaftlich realisieren zu können.“

Ähnlich wie Vonovia agieren und reagieren viele Bauunternehmen: Der Stuttgarter Architekt Simon Schmidt, der unter anderem Wohnhäuser für den Bauträger Alveni entwirft, sagt: „Mein Eindruck ist: Angesichts der immer weiter steigenden Quadratmeterpreise wird es immer schwerer, Neubauten zu verkaufen.“

Berechnungen des IVD Süd zufolge könnte sich die Zahl der 2022 in Baden-Württemberg insgesamt genehmigten Wohnungen bei rund 41 500 Objekteinheiten einpendeln. Gegenüber dem Vorjahr, als knapp 46 000 Wohnungen zum Bau frei gegeben wurden, entspräche dies einem Rückgang von etwa zehn Prozent. Thomas Held vom Statistischen Amt Stuttgart liegen für die Landeshauptstadt ebenfalls noch keine Zahlen aus dem Jahr 2022 vor, mit diesen ist erst im Juni zu rechnen. „Wahrscheinlich aber wird die Entwicklung auch vor Stuttgart nicht haltmachen“, sagt Held. Schließlich habe man mit den gleichen Rahmenbedingungen zu kämpfen.

Allerdings ist er sich nicht sicher, ob sich der Rückgang der Zahl der Neubauten bereits im Jahr 2022 bemerkbar machen wird – oder erst ein Jahr später. Denn: „Ende 2021 waren in Stuttgart 1425 Wohnungen unter Dach, also rohbaufertig. Ich gehe mal davon aus, dass die im Jahr 2022 auch fertiggestellt wurden“, sagt Held. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 wurden 1517 Wohnungen fertiggestellt. Ein Rückgang wäre das also dennoch, wenn nicht noch weitere hinzugekommen wären: Ende 2021 waren schließlich noch weitere 1474 Wohnungen im Bau, aber noch nicht unter Dach. Auch davon könnten einige 2022 fertig geworden sein.

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt wird sich wohl weiter verschärfen

Wann auch immer die Zahlen sich bemerkbar machen, die Lage auf dem Wohnungsmarkt wird sich wohl weiter verschärfen. Der hohe Bedarf an Wohnungen insbesondere in den prosperierenden Gegenden kann bereits heute kaum gedeckt werden. Vor allem ist preiswerter Wohnraum vielerorts zu knapp – für Haushalte mit niedrigem Einkommen gestaltet sich die Wohnungssuche immer schwieriger.

Potenzielle Kaufinteressenten, die sich angesichts massiv gestiegener Finanzierungskosten kein Eigenheim mehr leisten können, drängen zudem vermehrt ins Mietsegment. Auch steigende Bevölkerungszahlen – nicht zuletzt durch die zahlreichen Geflüchteten aus der Ukraine – sowie eine wachsende Anzahl an Einpersonenhaushalten treiben den Bedarf an Wohnungen weiter an, lässt der IVD verlauten.

Das sieht Ulrich Wecker, Geschäftsführer Haus & Grund Stuttgart, zumindest für die Landeshauptstadt etwas anders. Zwar sieht auch er, dass in Stuttgart „Neubauten derzeit schlecht laufen“. Er vermutet, dass die kalkulierten Preise für die Objekte vor der Krisenzeit entstanden sind, da solch ein Bauprojekt immer ein paar Jahre Vorlauf hat. Wecker: „Das Problem ist, dass sich die Objekte zu den kalkulierten Preisen nicht mehr so absetzen lassen, zumal die Zinssätze sehr hoch sind.“ Für den Mietmarkt gibt Wecker aber wider Erwarten trotzdem Entwarnung: „In der Landeshauptstadt beklagen wir derzeit einen mangelnden Zuzug: Stuttgart sollte bis 2030 laut Prognose des Statistischen Amts der Stadt 650 000 Einwohner haben, davon sind wir weit entfernt“, sagt Wecker.

Haus und Grund sagt, der Mietmarkt in Stuttgart habe sich beruhigt

Tatsächlich sind aktuell rund 610 000 Personen in Stuttgart gemeldet. Die Bevölkerungszahl stieg im vergangenen Jahr deutlich durch den Zustrom von Geflüchteten aus der Ukraine. Zuvor hat die Bevölkerungszahl aufgrund der reduzierten Zuwanderung seit Anfang 2020 fast durchgängig abgenommen. Meistens werde der Rückgang der Zuwanderung darauf geschoben, dass Stuttgart so teuer sei. „Aber das Umland wächst ja auch nicht.“ Weckers These: Solange „der Automobilmarkt gebrummt hat und es hier gute Arbeitsplätze gab“, kamen viele Menschen nach Stuttgart und die Region. „Ich glaube, dass der zurückgehende Zuzug ein Vor- oder Begleitbote der sich andeutenden Krise in der Automobilkrise ist“, sagt Wecker.

Seiner Ansicht nach mache sich das auf dem Mietmarkt bemerkbar. Dieser habe sich in Stuttgart – entgegen der landläufigen Meinung – nämlich beruhigt. „Es wird noch immer alles vermietet, aber man hat nicht mehr auf alle Objekte einen solchen Ansturm“, so sein Eindruck.