Die Bundesbank sieht Übertreibungen jetzt auch abseits der Städte. Das Hauptproblem bleibt laut Experten der Wohnraummangel. Neben der Nachverdichtung seien auch neue Stadtteile an den Rändern von Ballungszentren nötig.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - Die Preise auf dem deutschen Wohnungsmarkt entfernen sich immer weiter von den wirtschaftlichen Grundlagen. In den Städten betrügen die Preisübertreibungen zwischen 15 und 30 Prozent, teilte die Bundesbank am Mittwoch mit. Das heißt: Bis zu 30 Prozent des 2016 in 127 deutschen Städten gemessenen Preisniveaus lassen sich nicht mehr durch Faktoren wie steigende Einkommen, niedrige Zinsen oder erhöhte Nachfrage erklären. Übertreibungen in geringerem Ausmaß seien mittlerweile auch außerhalb der Städte zu beobachten, sagte Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch: „Wir sehen, dass sich Überbewertungen auch auf der Fläche herausbilden.“

 

Die Bundesbank beleuchtet die Lage auf dem Wohnungsmarkt in ihrem Finanzstabilitätsbericht, der einmal jährlich erscheint. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass Immobilienblasen verheerende Wirkung für ganze Volkswirtschaften haben können: So entstand beispielsweise vor zehn Jahren die weltweite Finanzkrise am US-Immobilienmarkt. Auch die Eurokrise wurde durch den Einbruch der Hauspreise in Staaten wie Spanien und Irland verschärft.

Noch keine Blase

Anzeichen für eine Blase sieht die Bundesbank in Deutschland noch nicht. „Die vorliegenden Informationen deuten nicht auf unmittelbare Risiken für die Finanzstabilität“, sagte Vizepräsidentin Buch. Solche Risiken wären zu befürchten, wenn Häuslebauer und Wohnungskäufer zur Finanzierung ihres Eigenheims immer mehr Schulden aufnähmen. Die Verschuldung der privaten Haushalte im Verhältnis zu den verfügbaren Einkommen sei aber im Mittel rückläufig. Gleichwohl bestehe die Gefahr, „dass sich Finanzierungen an den Immobilienmärkten zukünftig als nicht nachhaltig erweisen“, sagte Buch. Dazu könnte es kommen, wenn das Zinsniveau entgegen der allgemeinen Erwartung abrupt steigen sollte.

Die Gefahr von Fehlkalkulationen bei Immobilien-Investitionen steige, sagt auch Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Einige Investoren zahlen derzeit – gemessen an den zu erwartenden Mieten – zu hohe Preise und werden vielleicht feststellen, dass sie sich verkalkuliert haben. In Stuttgart zum Beispiel würde ich keine Immobilie als Investitionsobjekt kaufen, weil die Kaufpreise den Mieten enteilt sind.“ Beim Kauf eines Eigenheims sehe es etwas anders aus, „weil es da meistens nicht in erster Linie um die Rendite geht“, fügt der Wissenschaftler hinzu.

Stuttgart gehört zu den Risikostädten

Michelsen ist Co-Autor einer Studie zum Immobilienmarkt, die das DIW im Sommer veröffentlichte. Darin heißt es, in den sieben größten deutschen Städten – das sind Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Stuttgart – bestehe das Risiko einer „Blasenbildung“ bei Eigentumswohnungen. Eine Gefahr für das Finanzsystem gehe davon nicht aus, pflichtet Michelsen der Bundesbank bei. „Ein gesamtwirtschaftliches Problem sehen wir nicht. Aber für viele Käufer, etwa junge Familien, wird der Kauf eines Eigenheims zunehmend schwierig.“ Wer eine neue Mietwohnung sucht, bekommt die Folgen des Immobilienbooms ebenfalls zu spüren. Künftig könnten auch auf Bestandsmieter Erhöhungen zukommen, sagt Michelsen: „Wenn jetzt vermehrt vermietete Wohnungen verkauft werden als Kapitalanlage, könnte es sein, dass die Investoren ihre Spielräume für Mieterhöhungen ausnutzen.“

Die Mietpreisbremse habe den Kostenanstieg in innerstädtischen Gebieten zwar gedämpft, sagt Michelsen. „Sie ändert aber nichts am Wohnraummangel.“ Es müsse einfach mehr gebaut werden. „Ein erster Fortschritt ist die Ausweisung sogenannter urbaner Gebiete, in denen eine höhere und dichtere Bebauung möglich ist sowie die Umwandlung von Gewerbe- in Wohnimmobilien.“ Gleichwohl komme „der Wohnungsbau nur sehr mühselig in Fahrt“, sagt Guido Spars, Professor für das Fachgebiet Ökonomie des Sparens und Bauens an der Universität Wuppertal. Er verweist darauf, dass die Zahl der Baugenehmigungen in Deutschland dieses Jahr gegenüber 2016 wieder zurückgegangen ist. Die vom Bund bereitgestellten Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau würden von den Ländern nur unzureichend genutzt – zum Teil wohl, weil es an erschwinglichen Grundstücken liege. „Die Engpässe liegen hauptsächlich im Bodenmarkt“, sagt Spars. Seiner Ansicht nach müssten verstärkt Wohngebiete an den Rändern der Ballungszentren erschlossen werden, „etwa indem man S-Bahn-Netze ausbaut und rund um die neuen Stationen Wohnungen errichtet“.

„Man muss in den Außenbereich gehen“

Für den Kauf des nötigen Baulands hat Spars in diversen Fachpublikationen die Einrichtung eines Bodenfonds vorgeschlagen, der gleichzeitig der Altersvorsorge dienen könnte. Die Idee: Der staatliche Fonds erwirbt bundesweit Flächen an den Stadträndern und verkauft oder verpachtet sie an Bauträger. Finanziert würde der Fonds durch freiwillige Einzahlungen privater Sparer. Diese erhielten dafür eine garantierte Verzinsung „von ein bis zwei Prozent“ im Jahr, die aus den Pacht- und Verkaufseinnahmen des Fonds gezahlt würde, schrieb Spars in der Zeitschrift „Wohnen und Stadtentwicklung“ des gleichnamigen Bundesverbands. Mit einer solchen Beteiligung von Bürgern am steigenden Bodenwert könnte auch der Widerstand gegen den Bau neuer Stadtteile verringert werden, sagte Spars unserer Zeitung.