Über zwei Tage lang haben sich beim Impfmarathon in der Messe Stuttgart mehr als 7700 Menschen gegen Corona immunisieren lassen – und Elektro-Musik lauschen.

Leinfelden-Echterdingen - So etwas hat Rosa Samaniego Verduzco noch nie gesehen. Am Samstagmorgen sitzt die 68-Jährige auf einem Klappstuhl in Halle 9 der Messe Stuttgart und lässt sich ihre Booster-Impfung spritzen. Die Prozedur dauert nur wenige Augenblicke, dann zieht sie ihre Jacke wieder an und steht auf.

 

Samaniego Verduzco gehört sicher zu denen mit dem weitesten Anreiseweg zum großen Impfmarathon im Rahmen der Kampagne #dranbleibenbw des Landes Baden-Württemberg. Denn die pensionierte Ärztin lebt eigentlich in Mexiko, ist über Weihnachten aber bei ihrer Tochter in Stuttgart zu Besuch und hat die Chance ergriffen, sich an der Messe ihre Auffrischungsimpfung abzuholen. Sie ist sichtlich beeindruckt und kann sich gut vorstellen, welch großer Kraftakt hinter der Aktion steckt: „Ich habe früher eine Klinik geleitet und dabei auch Impfaktionen, nicht gegen Corona, auf die Beine gestellt“, sagt sie. „Das hier ist extrem gut organisiert.“

Teilnehmer aus dem ganzen Land

Mehr als 7700 Menschen nutzten die Gelegenheit, sich innerhalb von 48 Stunden, zwischen Freitag 18 Uhr und Sonntag 18 Uhr, auf der Landesmesse immunisieren zu lassen. Der Anspruch ist durchaus beachtlich: „Wir impfen The Länd“ lautet das Motto der bislang größten Aktion der Landeskampagne. Die Organisatoren sind die Malteser Neckar-Alb, die Messe Stuttgart sowie der Landkreis Esslingen. Auch das Deutsche Rote Kreuz, das Technische Hilfswerk, die Johanniter-Unfallhilfe und die Freiwilligen Feuerwehren der Umgebung helfen tatkräftig mit – insgesamt etwa 180 Ehrenamtliche, sagt Thomas Linhart, der Sprecher der Malteser Neckar-Alb.

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Auf den Parkplätzen vor der Halle 9 stehen die Impfwilligen in ihren Autos Schlange. Viele Fahrzeuge haben Kennzeichen aus der Region Stuttgart, aber auch aus dem Rest des Landes und sogar aus Bayern sind Menschen angereist. Nach dem Drive-In-Prinzip werden sie von Helfern in neongelben Warnwesten in die Messe geleitet und in einer der Impfstraßen bequem am Autofenster immunisiert. Aber auch Fußgänger wie Samaniego Verduzco können sich ihre Erst-, Zweit- oder Auffrischungsimpfung, den Booster, holen.

„Ein besonderes Feeling“

„Menschen sterben in Krankenhäusern. Aber wir haben hier eine Chance, und die heißt impfen. Wir lassen uns von der Pandemie nicht verjagen, wir verjagen die Pandemie. Großer Dank an alle Helfer“, sagt der Sozialminister Manfred Lucha beim Start am Freitagabend. Auch Heinz Eininger, der Esslinger Landrat, ist da und lobt die Kooperation: „Diese große Gemeinschaftsaktion zeigt, dass wir in der schwierigen Zeit zusammenstehen – die ganz Blaulichtfamilie“.

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Wenn von den Parkplätzen draußen ein Auto in die Messehalle 9 fährt, grummelt es dumpf. Helfer lotsen die Wagen zu einer der zwölf Stationen, die beidseitig angefahren werden können und so 24 Impfstraßen bilden. Dort sind Tische aufgebaut, die mit golden und silbern schimmernden Rettungsdecken verhüllt sind, was der Halle ein weihnachtliches Flair verleiht. „Es ist wirklich ein ganz besonderes Feeling hier“, sagt Thomas Linhart von den Maltesern. „Wir haben nur positive Rückmeldungen bekommen – sowohl von den Impflingen als auch von den Hilfsorganisationen.“ Wenn das Fenster herunterfährt, tritt eine Ärztin oder ein Arzt heran, bespricht mit den Leuten die Immunisierung. Spritze in den Oberarm. Fertig.

Impfen und Elektronische Musik

Mathias und Gabi Stirm aus Filderstadt sind am Freitagabend die ersten, die in die Halle fahren und sich impfen lassen. Ihnen folgen in den ersten sechs Stunden bis Mitternacht mehr als 1500 Personen. Am Samstagmorgen wird die 2000er- und am Sonntagmorgen die 5000er-Marke geknackt. Linhart spricht von einem „grandiosen Erfolg“.

Die Halle 7 dient der Entspannung nach der Spritze. Dort können sich die Impflinge ein paar Minuten ausruhen, an einem Verpflegungsstand die Energiereserven auftanken – oder sich ab 14 Uhr den elektronischen Beats der DJs hingeben, die live auflegen. Normalerweise wären sie auf dem Stuttgart Electronic Music Festival (SEMF) aufgetreten, doch Corona machte dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung. Sie seien von der Messe gefragt worden, ob sie sich an dem Impfmarathon beteiligen wollen, erzählt SEMF-Organisator Christoforo „Krize“ Marrazzo. „Da haben wir Ja gesagt. Wir sitzen alle im selben Boot und warten darauf, dass das vorbeigeht. Und das geht ja momentan vor allem durch das Impfen.“ So kommt es vor, dass die Marathon-Teilnehmer von tanzenden Feuerwehrleuten zu ihrem Ruheplatz gewunken werden. Die Auftritte werden live gestreamt.

Vorlage für weitere Aktionen

„Diese Aktion macht großen Spaß, weil man etwas Gutes tut“, sagt der 22-jährige Tom Feigel, der ehrenamtlich bei den Maltesern aktiv ist. Auch bei den Impflingen ist die Stimmung gut. „Eine tolle Leistung“, lobt Arlette Sauer aus Esslingen. „Mega! Man fühlt sich im Auto einfach sicher“, betont Sara Bieler aus Nürtingen. Lediglich die Wartezeiten von bis zu anderthalb Stunden seien teils anstrengend gewesen – werden aber gerne in Kauf genommen, so der Tenor.

Bis Sonntagnachmittag werden mehr als 6200 Menschen geimpft. Zwar ist die maximale Kapazität von 20 000 Spritzen noch in weiter Ferne, doch: „Wir sehen, dass das Ganze gut funktioniert“, sagt Linhart. Die Aktion sei eine Vorlage für weitere Events.

Rund um die Impfaktion

Vakzine
 Bei dem 48-stündigen m Impfmarathon auf der Messe Stuttgart standen die Vakzine der Hersteller Moderna, Biontech und Johnson & Johnson zur Verfügung. Einen Kinderimpfstoff gab es nicht.

Impflinge
 Wer über 18 Jahre alt ist, konnte sich bei der Aktion impfen lassen. Von den ersten 2500 Impfungen waren nach den Angaben des Malteser-Sprechers Thomas Linhart etwa 2250 Auffrischungs-, 100 Zweit- und  150 Erstimpfungen. Die meisten Impflinge sind aus der Region Stuttgart nach Leinfelden-Echterdingen gefahren. Doch auch aus anderen Landkreises Baden-Württembergs sowie aus Nachbarbundesländern reisten Menschen an.

Termine
 Im Vorfeld waren drei Viertel der 20 000 möglichen Impfungen für Menschen mit Termin vorgesehen, ein Viertel für Kurzentschlossene. Am Samstag hieß es dann aber: einfach vorbeikommen – auch ohne Termin.