Vom Feuerbacher Orient geht es direkt in die Zuffenhäuser Schrebergärten. StZ-Kolumnist Erik Raidt lernt auf seiner Etappe: Stuttgart spricht türkisch. Aber Taner Simsek spricht auch perfekt Deutsch.

Stuttgart - Ich hatte nicht damit gerechnet, an diesem Morgen Lionel Messi in Feuerbach zu begegnen. Doch er ist es, kein Zweifel. Messi lächelt von einem Plakat über einer türkischen Bäckerei herab, das Bild zeigt ihn vor der Kulisse von Minaretten. Der Argentinier macht Werbung für eine türkische Airline, und es ist natürlich kein Zufall, dass das Plakat ausgerechnet in der Feuerbacher Mauserstraße über der Bäckerei hängt. Dort ist mitten im alten Industriegebiet in den vergangenen Jahrzehnten „Little Istanbul“ entstanden. Innerhalb von fünf Minuten komme ich an türkischen Damenmoden- und Brautmodenläden vorbei, an Reisebüros und Versicherungsmaklern, an Supermärkten und Bäckereien.

 

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Stuttgart spricht türkisch. Aber Taner Simsek spricht auch perfekt Deutsch. Simsek, 44, ist mit seinem achtjährigen Sohn Taylan zum Frühstück in die Bäckerei „Metropole“ gekommen. Die beiden sitzen bei Tee und Brötchen zusammen. Taner Simsek erzählt, wie er im Alter von drei Jahren mit seiner Mutter nach Stuttgart gelangte, wo sein Vater schon beim Daimler schaffte. „Für ihn war es die klassische Geschichte – er wollte ein Jahr in Deutschland bleiben, daraus wurden allein 40 Jahre beim Daimler.“ Taner Simsek wiederum wuchs in Bad Cannstatt auf, er lernte Elektroniker, bildete sich weiter und arbeitete unter anderem als Ingenieur. „Bildung ist für viele Türken meiner Generation schon wichtiger als für unsere Eltern“, sagt er und erzählt von seinen Patenkindern. „Einer ist Arzt, der andere promoviert beim Daimler.“ Viele junge Türken lebten gut mit ihren Wurzeln im Orient und ihrem Alltag in Stuttgart. Ihm selbst ist der Kontakt zur Familie, die in einem Dorf beim Berg Ararat lebt, zwar wichtig, aber es ist nicht mehr dasselbe wie bei seinem Vater. Als der vor neun Jahren starb, wollte er unbedingt in seiner Heimat beerdigt werden. Und was bedeutet dem achtjährigen Taylan die Türkei? „Sprichst Du türkisch?“ frage ich ihn, und Taylan antwortet sofort: „Merhaba! Hallo!“ Taner Simsek grinst, er hält das Türkisch bei seinem Sohn für ausbaufähig.

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Leider muss ich fort aus „Little Istanbul“, weiter von Feuerbach nach Zuffenhausen, auch diesmal bleiben dafür nur 80 Zeilen. Wie schnell sich Stuttgart verwandelt: Eben noch war ich in Tausendundeiner Nacht, jetzt taucht rechter Hand der Büroturm von Mahle und Behr auf, auf der anderen Seite schiebt sich die Großraumdisco Penthouse wie ein Raumschiff über die B 10, auf der ein unendlicher Verkehr donnert. Auf dem Hang zwischen Feuerbach und Zuffenhausen weicht im Schatten von Apfelbäumen langsam der Lärm. Es wird grüner, die Bundesstraße ist nur noch ein Asphaltband, das zwischen dichter werdendem Geäst hindurchblitzt. Mein Weg führt steil einen Weinberg empor. Neben einem Rebstock sehe ich den Check-In-Bereich eines Insektenhotels, aber es fliegen gerade keine Übernachtungsgäste vorbei.

Dann erreiche ich ein Hochplateau zwischen Cannstatt, Feuerbach und Zuffenhausen. Rosen, Hagebutten und Vogelbeeren, Gartenhäuschen und Kinderschaukeln – in den kleinen Gärten ist die Großstadt nur noch ein fernes Rauschen. Ob unten in der Feuerbacher Moschee oder hier oben im Grünen: Jeder Stuttgarter ringt um sein Stückle vom Paradies.