Auf dem Mauswegle zum Bärenschlössle: im Stuttgarter Wald geht es niedlich zu. Und StZ-Kolumnist Erik Raidt erkennt: kein Mensch hat die Entspannung derart perfektioniert wie die Wildschweine.

Stuttgart - Wie sich Lehrer, Sprachpuristen und andere empfindsame Gemüter leicht in den Wahnsinn treiben lassen? Indem man die deutsche Sprache mit Denglisch anreichert. Ich habe nicht die leiseste Ahnung warum mir an diesem Morgen, zum Auftakt der dritten Etappe meiner Stuttgart-Expedition, in den Sinn kommt, dass ich mich in einer Chill-out-Zone befinde. Ich laufe nur durch den Wald – beim Vaihinger Campus tauche ich auf dem des Denglischen unverdächtigen Pfaffenwaldring in die Wüste Wiesen-Allee ein, aber ich denke nie an eine grüne Lunge, sondern nur an eine Chill out-Zone.

 

Eine Weile auf dem Mauswegle unterwegs

Nie hätte sich Jules Verne eine solche Sprachverhunzung erlaubt, als er am Ende des 19. Jahrhunderts einen britischen Gentleman um den Globus schickte. Damals wussten sich die Gentlemen noch auszudrücken. Chill out, chill out, chill out – bei mir ist alles zu spät. Vielleicht liegt es an den betörenden Düften. Über Nacht hat es geregnet, und vom Waldboden steigt ein wildes Parfum mit Noten von Blättern, Brombeeren und Erde empor. Unter den Wanderstiefeln zerplatzen Eicheln, am Wegesrand steht sattgrüner Farn unter turmhohen Buchen. Der Stuttgarter Wald bietet mehr Natur, als in 80 Zeilen passen.

Auf meinem Weg zum Bärenschlössle gehe ich eine Weile auf dem Mauswegle. Für ein paar Minuten bin ich vom Denglischen geheilt, weil mich der Gedanke beschäftigt, warum wir Schwaben alles zwanghaft verniedlichen. Ein Besuch ist ein Besüchle, ein Schlaganfall ein Schlägle, vielleicht sind die Schwaben schon früher viel durch ihre Wälder gelaufen, weil ein Waldspaziergang das Temperament mäßigt. Apropos: an den Grillstellen im Wald flattern rot-weiße Absperrbänder, manche sind sogar mit Gittern verbarrikadiert – Grillverbot wegen Waldbrandgefahr. Über derartiges Sommerpech könnte ich mich aufregen, wenn ich nicht so gechillt wäre.

Die Wildschweine entspannen

Vorbei an den Bärenseen. Am Himmel dröhnt ein Ferienflieger, aber wer will schon Massentourismus und Dessertbuffet, wenn er bei einem Hefeweizen neben dem Bärenschlössle hocken kann und dabei auf Wiesen, Wald und die schwäbische Seenplatte blickt. Entlang des Ufers präsentieren Jogger die aktuelle Kollektion atmungsaktiver Funktionswäsche, da und dort kauern im Schatten Gestalten, die schweigend auf den See blicken. Sie werden erst später aus ihrem Halbschlaf erwachen, um in perfektem Anglerlatein von ihren Erlebnissen zu berichten.

Aber kein Mensch hat die Entspannung derart perfektioniert wie die Wildschweine. In der Mittagssonne ruhen Keiler und Bachen im Schwarzwildpark in zuvor selbst gebuddelten Löchern. Hier und da blinzelt ein Auge und kräuselt sich eine Nase, aber die Schweine bringt nichts aus der Ruhe. Lange vorbei sind die Zeiten, als ein König sie zu seinem Privatvergnügen zusammenpferchen ließ, um sie dann zu jagen.

In Botnang stößt der Rot- und Schwarzwildpark an seine Grenzen. Mein Weg führt mich an Doppelgaragen und Häusern vorbei, die eine hübsche Kulisse für einen TV-Mord im Halbhöhen-Milieu abgeben würden. Am Ende dieser Etappe muss ich mich zwischen Gut und Böse entscheiden: linker Hand ein alter Kirchturm, rechter Hand der Fachbetrieb Rohrteufel. Aber das Einzige, was mir einfällt, ist: chill out, chill out.

Alle bisher erschienenen Serienteile von Erik Raidts Stuttgart-Expedition finden Sie multimedial aufbereitet auch hier!