Im Südwesten wäre es eine Premiere: Weil das Genehmigungsverfahren fehlerhaft war, droht einer Windkraftanlage bei Braunsbach der dauerhafte Stillstand. Der Grund: Sie liegt im Brutgebiet geschützter Vogelarten.

Braunsbach - Naturschützer fordern erstmals im Südwesten den Abriss einer nagelneuen, 150 Meter hohen Windkraftanlage. Die ersten rechtlichen Schritte sind ihnen bereits gelungen: Nachdem das Verwaltungsgericht Stuttgart vor knapp einem Jahr den Betrieb der fertig gebauten Anlage „Orlach 6“ bei Schwäbisch Hall vorläufig gestoppt hatte, bestätigte nun der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) diesen Beschluss. Nun müsse der Betreiber die Anlage „schleunigst abbauen“, sagte Johannes Enssle, Landeschef des Naturschutzbundes (Nabu). Das Windrad sei mitten in das Brutgebiet von vier geschützten Greifvogelarten gebaut worden und hätte nicht genehmigt werden dürfen.

 

Enssle nannte diese Konsequenz „bedauerlich“, aber notwendig angesichts des ungeklärten Tötungsrisikos für die in der Nähe brütenden Rot- und Schwarzmilane, Baumfalken und Wespenbussarde. Das Landratsamt Schwäbisch Hall habe als Genehmigungsbehörde die frühzeitigen Warnungen des Nabu in den Wind geschlagen und auf eine formale Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet. Nach einer allgemeinen „Vorprüfung“ hatte die Behörde grünes Licht gegeben. Deshalb waren der Nabu sowie der Landesnaturschutzverband im vergangenen Jahr mit einem Eilantrag gegen den Betrieb vorgegangen – und hatten Recht bekommen. Die Stuttgarter Richter stoppten das Kraftwerk bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache.

Neuer Anlauf ist möglich

Ihre Kollegen des Mannheimer VGH sehen dies nun genauso: Die Rotoren müssen weiterhin still stehen. Zwar könne die verlangte Umweltverträglichkeitsprüfung noch nachgeholt werden, heißt es in dem Beschluss, doch sei bislang weder damit begonnen worden noch könne der Ausgang einer solchen Prüfung abgeschätzt werden. Ja, mehr noch: Der VGH geht explizit von davon aus, dass die Naturschützer auch im Hauptsacheverfahren obsiegen. Dass der Kraftwerksbetreiber – die EnBW-Tochter ZEAG Erneuerbare Energien mit Sitz in Heilbronn – wegen des Stillstands finanzielle Einbußen erleidet, beeindruckt die Richter nicht. Das wirtschaftliche Interesse sei „wegen der im Falle einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos drohenden irreversiblen Zustände geringer zu gewichten“. Artenschutz sei „nicht etwa ein privater Belang“, sondern „ebenfalls von hohem öffentlichen Interesse“, urteilen sie.

Fragwürdige Gutachten

Nabu-Chef Enssle sieht nun das Stuttgarter Regierungspräsidium am Zug: „Die Aufsichtsbehörde des Landratsamts muss die Genehmigung zurücknehmen.“ Doch so weit ist man dort noch nicht. Man werde nun prüfen, ob man die immissionsschutzrechtliche Genehmigung aufhebt, oder ob „versucht wird, die beanstandeten Verfahrensfehler zu heilen“, teilt das Regierungspräsidium auf Anfrage mit. Soll heißen: ob die verlangte Umweltverträglichkeitsprüfung nachgeholt und die Bedenken wegen der Greifvögel ausgeräumt werden können. Darauf baut offensichtlich auch der Betreiber: Man werde die Möglichkeit, die Anlage nachträglich gerichtsfest zu machen, nun umgehend prüfen, erklärte ZEAG-Geschäftsführer Harald Endreß.

Enssle macht weiterhin Druck: „Wenn das Regierungspräsidium nicht innerhalb vier Wochen handelt, werden wir wegen Untätigkeit klagen“, sagt der Nabu-Landeschef. Er macht an dem Fall aber auch ein grundsätzliches Problem fest: „Er zeigt, dass das Artenschutzgutachten, das der Betreiber der Anlage vorgelegt hat, mangelhaft war.“ Auf dem Markt der Expertisen tummeln sich seiner Ansicht nach zu viele Amateure und inkompetente Anbieter.

Hintergrund:

Der Rückbau von Windrädern ist Pflicht Stillgelegte Windkraftanlagen müssen nach den Vorgaben des Baugesetzbuches (§35, Absatz 5, Satz 2) abgerissen und beseitigt werden. Auch die Bodenversiegelung, Leitungen, Wege und Plätze müssen die Eigentümer rückgängig machen. Dazu verlangt die Genehmigungsbehörde eine Verpflichtungserklärung und finanzielle Rücklagen oder eine Bürgschaft.

Der Rückbau eines solchen Kraftwerks ist nicht trivial: Das Fundament der über 100 Meter hohen Türme besteht aus tausenden Tonnen Stahlbeton, damit es die gewaltigen Lasten tragen kann. Die Kosten der Beseitigung sind entsprechend hoch. Nordrhein-Westfalen zum Beispiel verlangt 6,5 Prozent der Gesamtinvestitionskosten als Sicherheitsleitung. Das wären bei zwei Millionen Euro also 130 000 Euro für den Rückbau. Berechnungen für die Rückbaukosten weichen jedoch stark voneinander ab.