Christin Kern teilt sich ihren Garten mit Miss Marple, Madonna und 68 weiteren Landschildkröten. Sie betreibt in Stuttgart-Weilimdorf ehrenamtlich eine Auffangstation für die geschützten Tiere. Am Sonntag ist Tag der offenen Tür. Zu sehen ist dann auch die russische Landschildkröte Putin, die derzeit dort zu Gast ist.

Weilimdorf - Bei Familie Kern an der Edenkobener Straße ist derzeit Putin zu Besuch. Dass sich die Sicherheitsvorkehrungen dennoch auf einen Gartenzaun und ein kleines Mäuerchen beschränken, liegt daran, dass es sich bei dem Besucher nicht um den russischen Präsidenten, sondern um eine russische Landschildkröte handelt. Sie ist zu Gast in der Auffangstation für Landschildkröten, die Christin Kern im Garten ihres Reihenhäuschens in Pfaffenäcker betreibt. Dort pflegt sie die Tiere nicht nur, sie päppelt sie auf und versucht, sie an zuverlässige Halter zu vermitteln. Und Putins Besitzer würde gern noch ein weiteres Schildkrötenmännchen bei sich aufnehmen. „Putin bleibt für einige Tage, um zu schauen, wie er sich mit Alex verträgt“, erklärt Kern. Bislang eher schlecht als recht: Die russische Landschildkröte teilt ordentlich aus, schubst und zwickt die anderen Männchen. „Völlig normal“, sagt Kern, das werde sich noch ein paar Tage so hinziehen.

 

Die 53-Jährige betreibt die Auffangstation ehrenamtlich in Kooperation mit dem Stuttgarter Tierheim. Schon ihre Eltern hätten Landschildkröten gehabt, als sie noch ein kleines Kind war, erzählt Kern. Später habe sie selbst auch einige Schildkröten gehabt, zur Auffangstation kam sie aber dennoch fast wie die Jungfrau zum Kinde: Als sie sich einen Hund aus dem Tierheim holen wollte, kam von dort jemand bei ihr zuhause vorbei, um die künftigen Lebensbedingungen des Tieres in Augenschein zu nehmen. Als der Mitarbeiter des Tierheims ihr Schildkrötengehege gesehen habe, habe er sie gefragt, ob sie nicht auch Schildkröten zur Pflege aufnehmen wolle. „Eine ist kein Problem“, hat Kern damals geantwortet. Heute teilt sie sich ihren Garten mit 70 Landschildkröten.

Disteln, Klee und Wildkräuter gehören zu den bevorzugten Mahlzeiten der Tiere

Der Tiere, die bei ihr landen, sind größtenteils entweder ausgebüxt oder ausgesetzt worden, einige werden auch von Amtsveterinären ihren Besitzern entzogen und zur Auffangstation gebracht. Manche Halter geben die Tiere auch selbst ab, wenn sie ihrer überdrüssig oder mit der Haltung überfordert sind, erklärt Kern. Die meisten ihrer Schildkröten seien miserabel gehalten worden, ohne Sonnenlicht oder in kleinen Terrarien. Zudem mache falsches Futter wie Obst, Salat oder Katzenfutter den Tieren zu schaffen: Die Mangelernährung könne zu Verformungen des Panzers führen. In der Folge würden die Organe gequetscht, zudem könnten sich die Schildkröten nicht mehr richtig bewegen. Christin Kern macht deswegen teilweise sogar Physiotherapie mit den Tieren und päppelt sie mit Wildkräutern, gekochten Eierschalen und Muschelkalk wieder auf. „Das ist das Schöne an der Arbeit hier: Zu sehen, wie sich die Tiere wieder berappeln.“

Kern betreibt die Auffangstation, für die sie 2015 mit dem Tierschutzpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet wurde, ehrenamtlich. Derzeit erhält sie noch einmal die Woche Unterstützung durch einen Praktikanten des Tierheims. Ein Glücksfall, sagt sie: Marco, ein Flüchtling aus Kamerun und Tierarzt von Beruf. Zudem bekommt sie für die Tiere, die nicht ihr gehören, die Tierarztkosten ersetzt sowie eine kleine Aufwandsentschädigung. „Die einen gehen golfen, die anderen haben ein Segelboot – ich habe meine Schildkröten“, sagt sie lachend. Und die bestimmen ihren Tagesablauf. Morgens reinigt die gelernte Schriftzeichnerin und Kauffrau zunächst die Gehege, die mit Glashaus oder Frühbeet ausgestattetund mit Pflanzen und Hügeln dem natürlichen Lebensraum der Tiere nachempfunden sind. Dann geht Kern los, um Futter zu sammeln: Disteln, Löwenzahn, Klee oder Wildkräuter von Wiesen und Grünflächen in der Umgebung: „Man muss nur darauf achten, dass kein Hundekot dran ist und kein Pestizid gespritzt wurde.“ Die Nachmittage verbringt sie weitgehend am Telefon, versucht ihre Pflegetiere zu vermitteln und berät Halter, die schon Schildkröten haben, aber auch Tierarztpraxen und Behörden.

Ohne den Rückhalt ihrer Familie wäre das alles nicht möglich, sagt Kern. Aber auch aus der Nachbarschaft komme Unterstützung: Eine Nachbarin, die selbst Schildkröten hält, übernimmt die Urlaubsvertretung, andere bringen Futterspenden wie etwa Unkraut vorbei. Dieses rohfaserreiche Futter liefere den Schildkröten viel Energie, weil es langsam, teils bis zu vier Wochen lang verdaut werde – im Gegensatz zu Salat: „Der ist schon in sieben Tagen durch.“

Tag der offenen Tür Die Auffangstation für Landschildkröten, Edenkobener Straße 13, öffnet am Sonntag, 5. Juni, von 11 bis 18 Uhr ihre Türen. Um 12 Uhr und um 15 Uhr werden Führungen durch die mehr als 200 Quadratmeter große Anlage angeboten.

Weitere Informationen im Internet unter www.landschildkröten-stuttgart.de