Testen, testen, testen: Der Journalist Udo Bartsch sitzt in der Jury zum „Spiel des Jahres“. Exklusiv für die Stuttgarter Zeitung berichtet er von seinen Erfahrungen hinter den Kulissen.

Als „Hase und Igel“ 1979 den erstmals vergebenen Titel „Spiel des Jahres“ gewann, war ich noch ein elfjähriges Kind. Zufällig erblickte ich das Spiel im Geschäft und konnte meine Mutter tatsächlich zum Kauf überreden. Schon damals war ich durch und durch Spielenarr. Daran hat sich später nichts geändert – auch während der Pubertät nicht, im Studium oder Erwerbsleben. Im Gegenteil: ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Als Journalist publiziere ich hauptsächlich zum Thema Spiele. Und seit 2007 gehöre ich selber der Kritikerjury an, die das „Spiel des Jahres“ kürt.

 

Die Kriterien für die Wahl sind klar: Die Spielidee muss überzeugen, die Regeln verständlich sein, das Material gut verarbeitet, die Grafik stimmig. Doch selbst eleganteste Anleitungen und schönste Holzsteine helfen nicht weiter, wenn der Spielreiz fehlt. Wie wird gewichtet? Ist ein raffiniertes Werk mit taktischen Finessen höher einzuschätzen als eine Stimmungskanone? Ist Zugänglichkeit entscheidender als Originalität? – Fragen, die wochenlange Diskussionen in der Jury hervorrufen. Jedes Jahr aufs Neue.

Am Ende zählt der Gesamteindruck. Um bei aller Subjektivität zu einem fundierten Urteil zu gelangen, existiert nur ein Weg: Testen, testen, testen. In den vergangenen Jahren habe ich meinen Mitspielerkreis kontinuierlich erweitert und spiele an vier bis fünf Tagen pro Woche. Mit erfahrenen Haudegen, blutigen Anfängern, Jüngeren und Älteren. Jeder Testeindruck hilft weiter. Ein Spiel, das ich beinahe schon abgetan hätte, kann sich in anderer Zusammensetzung plötzlich als Hit erweisen.

Spiele zu testen erweitert den Horizont

Ein Faktor spielt bei der Wahl übrigens gar keine Rolle: Für ein „Spiel des Jahres“ ist es vollkommen unerheblich, aus welchem Verlag und von welchem Autor es stammt. Um strikte Unabhängigkeit zu bewahren, kommen als Juroren nur Kritiker in Frage, die weder bei der Entwicklung von Spielen mitwirken noch Spiele herstellen oder verkaufen. Die Jury sucht im gesamten deutschsprachigen Raum nach Experten, die kontinuierlich und kompetent Spielekritiken veröffentlichen. Neue Kandidaten, die sich dem Spieletest-Marathon gewachsen fühlen, werden kontinuierlich aufgenommen. Bei mir rief eines Tages der damalige Jury-Vorsitzende an und verabredete ein Treffen zum gegenseitigen Kennenlernen. Die Rahmenbedingungen stimmten, die Chemie auch. Seitdem bin ich dabei.

Die Jury-Tätigkeit ist ein Ehrenamt. Erstattet werden Reisekosten und Auslagen, zu verdienen gibt es nichts. Dennoch profitiere ich. Der Austausch mit den Kollegen ist der intensivste und fachlich beste, den man sich wünschen kann. Neue Testgruppen haben einige meiner abgehobenen Kritiker-Sichtweisen geerdet und meinen Horizont erweitert. Selbst mein Spielegeschmack hat sich verändert. Tat ich mich früher mit Partyspielen schwer, ist diese Barriere dank geeigneter Mitspieler gefallen.

Jährlich Spiele auszuzeichnen, ist nicht die einzige Form, mit der die Jury das Kulturgut Spiel in der Gesellschaft fördert. Jeder, der ein spielerisches Projekt plant, kann bei „Spiel des Jahres“ Zuschüsse beantragen. In diesem Jahr werden 21 Projekte mit insgesamt 40 000 Euro unterstützt. Solche Programme anzuschieben, ist eine Ehre, es macht Spaß und auch stolz. Die Tätigkeit als Juror geht weit über die reine Spielkritik hinaus. Sie ist Herzensangelegenheit und Lebensaufgabe zugleich.