Vor allem in den Jahren 2009 bis 2011 staunte die Republik über die Proteste in Stuttgart – und beschäftigte sich mit Gangolf Stocker, dem führenden Kopf. Jetzt ist der große Gegner des Bahnprojektes einer längeren schweren Krankheit erlegen.
Stuttgart - Ein langjähriger Wortführer des Protestes gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 ist tot. Gangolf Stocker, Mitbegründer der Bürgerinitiative Leben in Stuttgart – kein Stuttgart 21 und zeitweise auch Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S 21, erlag am Freitag in Stuttgart einer längeren, schweren Krankheit. Er wurde 76 Jahre alt.
Die Ablehnung von S 21 und der Kampf gegen das Großprojekt hatten sein Leben von 1995 bis zum Jahr 2016 geprägt, bis er sich aus der Kommunalpolitik zurückzog, nachdem er auch sieben Jahre dem Gemeinderat angehört hatte. Deutschlandweite Beachtung fand er besonders in den Jahren 2009 bis Sommer 2011. In diese Zeit fiel auch das Schlichtungsverfahren zu Stuttgart 21 unter der Leitung des CDU-Politikers Heiner Geißler. Stocker saß am Tisch. Damals galt er als wichtiger Kopf der Protestbewegung in Stuttgart, die die ganze Republik erstaunte. Er war ein eigenständiger Kopf, der im Jahr 2011 dann aber auch auf Distanz zu manchen Akteuren im Aktionsbündnis ging und ein schwieriges Meinungsgemenge beklagte.
Rockenbauch trauert um „politischen Ziehvater“
Nach der Nachricht von Stockers Tod reagierten diverse Weggefährten und frühere Mitstreiter mit Bedauern und Trauer, vorneweg Hannes Rockenbauch vom Bürgerbündnis SÖS. Der Vorsitzende der linken Fraktionsgemeinschaft im Gemeinderat und zweimalige OB-Kandidat nannte Stocker seinen „politischen Ziehvater, ohne den ich mich sicherlich in den Niederungen der Kommunalpolitik verirrt hätte“. Er habe viel von Stockers politischem Spürsinn und seiner klaren ökologischen und sozialen Haltung gelernt und profitiert. Faule Kompromisse und Angepasstheit habe Stocker verabscheut: „Er ist sich stets treu geblieben, auch wenn das im Kapitalismus ein Leben im ständigen Widerstand bedeutet.“ Mit seinem Einsatz für den Erhalt des Kopfbahnhofs und eine bessere Bahnpolitik habe Stocker die Republik von Stuttgart aus verändert und mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung in Zukunft bei großen Infrastrukturprojekten erzwungen. Mit Stockers Tod verliere Stuttgart einen seiner bedeutendsten politischen Denker.
Schauspieler Sittler wurde durch ihn zum Handelnden
Der Schauspieler Walter Sittler erklärte, Stocker habe ihn dazu gebracht, „die bequeme Position des politischen Beobachters zu verlassen und stattdessen zu handeln und mich zu äußern – und da bin ich nicht allein“. Ohne Stocker hätte er die vielen schönen und auch hässlichen Erfahrungen in der Politik nicht gemacht, sagte Sittler. Zu Stocker falle ihm der Satz von Erich Kästner ein: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“
Der Theatermachter Volker Lösch sagte, er habe Stocker für seine klare und unmissverständliche Haltung, sein Engagement, sein Fachwissen, seine Hartnäckigkeit, seine Konsequenz und sein Organisationstalent bewundert. „Dazu kam, dass man mit ihm lachen und trinken konnte.“ Er behalte Stocker als einen außergewöhnlichen Menschen in sehr guter Erinnerung.
Für das Aktionsbündnis erinnerte dessen Sprecher Norbert Bongartz an die „enormen Verdienste von Gangolf Stocker als Mitinitiator der Montagsdemos und Mitbegründer des Aktionsbündnisses“. Stocker habe indes gewisse patriarchalische Züge gehabt – und feste Vorstellungen, wie weiter zu verfahren sei. So habe er dann versucht, auf politischem Wege weiterzukommen bei der Verhinderung des Projektes, „wir stattdessen mit Sachinformationen für die Öffentlichkeit und mit juristischen Mitteln“. Aber das Aktionsbündnis setze „das Erbe von Gangolf Stocker fort“.