Immer wieder kehrt er zurück, dann fliegen Giftpfeile: Auf einer Insel wird ein Mann getötet, weil er in das geschützte Gebiet eines indigenen Volkes eindringt.

North Sentinel - Aus der Luft sieht die Insel North Sentinel im Indischen Ozean aus wie ein Paradies: Auf dem Blau des Meeres leuchtet ihr grüner Dschungel, umgeben von weißen Sandstränden. Es ist kein Weg, kein Haus, keine Spur von Zivilisation erkennbar. Das hat seinen Grund: Das indigene Volk der Sentinelesen, das seit Jahrtausenden einige der zu Indien gehörenden Andamanen-Inseln bewohnt, lebt in freiwilliger Isolation.

 

Es will keinen Kontakt zur Außenwelt, denn gegen eingeschleppte Krankheiten wie Masern oder Durchfall sind die Sentinelesen wehrlos, ihnen fehlt das schützende Immunsystem, der Außenkontakt könnte tödlich sein.

Annäherung ist untersagt

Die indische Regierung hat diesen Wunsch respektiert und schon in den fünfziger Jahren Schutzbestimmungen erlassen. Eine Fünf-Kilometer-Verbotszone um die Insel untersagt eine Annäherung, selbst Regierungsbeamte dürfen sie nicht betreten. In jüngster Zeit kam sogar ein Fotografierverbot dazu.

Doch am Mittwoch ist der 27-jährige US-Missionar John Allen Chau beim Besuch auf North Sentinel von Eingeborenen mit Giftpfeilen erschossen worden. Fischer brachten Chau gegen Geld in die Nähe der Insel und beobachteten die Tötung aus der Distanz.

Sie hatten ihn in Küstennähe abgesetzt, er soll allein mit einem Kanu an den Strand gefahren sein. „Er hat Gott geliebt, das Leben und das Helfen. Er hatte nichts als Liebe für das Volk der Sentinelesen“, sagten Chaus Eltern am Donnerstag. Sie wollen den Tätern vergeben, Chau sei aus freiem Willen auf die Insel gegangen.

Dreimal wiedergekehrt

Jeff King, Präsident der International Christian Concern, zu der Chau gehörte, sagte dem Sender BBC: „Chau hat diesen Leuten das Evangelium bringen wollen.“ Die Berichte über den tragischen Vorfall sind noch verworren. King stützt sich auf Aussagen der Fischer und berichtet, Chau sei bei seiner ersten Anlandung von Pfeilen vertrieben worden.

Er sei später trotzdem mit zwei Fischen als Geschenk zu den Eingeborenen zurückgekehrt. Die Gabe sei zunächst akzeptiert worden, eine Stunde hätten die Insulaner beratschlagt. Chau sei dann aber bedroht worden und gegangen, schließlich ein drittes Mal zurückgekehrt und mit mehreren Pfeilen getötet worden. Sein Leichnam sei dann über den Strand gezogen worden.

Hohes Risiko

Die Bergung des Toten werde einige Tage dauern, sagten indische Behörden, es sei eine „sensible Zone“. Ein Schiff und ein Helikopter sind im Einsatz vor der Insel, die die Größe von Manhattan hat. Sieben Personen, die dem Amerikaner beim Transport geholfen haben, sind verhaftet worden. Das hohe Risiko muss Chau bewusst gewesen sein. Schon 2006 sind zwei Fischer von Ureinwohnern getötet worden.

Bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen hat der Vorfall Erschütterung ausgelöst. „Das widerrechtliche Vordringen in ein Schutzgebiet kann für beide Seiten tödliche Folgen haben“, sagte GfbV-Direktor Ulrich Delius. Er warnte, die Inselbewohner für den Tod verantwortlich zu machen, denn sie kannten das indische Recht nicht.

Die Sentinelesen zählten zu vier Gruppen indigener Völker, die seit 60 000 Jahren auf einigen der 204 Inseln zählenden Andamanen-Inselgruppe lebten. Die Lebensgrundlage dieser Fischer, Jäger und Sammler sei in Gefahr.

Hubschrauber mit Pfeilen beschossen

Laut Delius gibt es weltweit 170 freiwillig isoliert lebende Völker, die sich einer Eroberung, Kolonisierung oder Staatsgründung widersetzt haben und als indigenes Volk leben. Beim Tsunami von 2004 sollen die Sentinelesen, ein kleinwüchsiges und dunkelhäutiges Volk, die Gefahr geahnt haben und sich auf Anhöhen zurückgezogen haben. Schon damals zeigten sie ihr Abwehrverhalten: Ein Hubschrauber wurde mit Pfeilen beschossen.