Bauteile sollen künftig ihren Zustand selbst erfassen und speichern. Dann können sie ihren Nutzer rechtzeitig darauf hinweisen, dass ein Austausch nötig ist.
Hannover - Das Rennen ist gut gelaufen, der Rennwagen kommt in die Box. Umgehend machen sich die Servicetechniker ans Werk und untersuchen das Fahrzeug. Der magnesiumlegierte Radträger hatte während der Fahrt Alarm geschlagen – und muss demnächst ausgewechselt werden. Das klingt nach Science-Fiction: Kann man mit bloßem Auge etwa erkennen, ob ein Reifen abgefahren ist oder Bremsbeläge verschlissen sind, so sollen künftig auch Bauteile eine Rückmeldung über ihren Zustand geben, deren Inspektion sonst nicht ohne Weiteres möglich ist.
Wissenschaftler der Leibniz-Universität Hannover haben dafür sogenannte fühlende Fahrwerkskomponenten für die Zustandsüberwachung und Optimierung besonders wichtiger Bauteile entwickelt. So nimmt der magnesiumlegierte Radträger des Rennwagens während der Fahrt seine Belastungen auf und speichert sie ab. Bei einem Boxenstopp können die Informationen dann ausgelesen werden: So werden Aussagen über die verbleibende Lebensdauer des Bauteils möglich.
Der Radträger weiß sozusagen um seinen „Gesundheitszustand“ und meldet ihn an die Techniker. „Wir wollen die physikalische Trennung von Bauteil und dazugehöriger Information vollständig aufheben“, erläutert Professor Berend Denkena, Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen der Leibniz-Universität Hannover. Für diese Informationserfassung, Speicherung und Kommunikation werden konventionelle Bauteileigenschaften derzeit komplett neu überdacht. Dazu werden zum Beispiel Magnesiumlegierungen mit sensorischen Eigenschaften entwickelt. Unter Belastung ändern die damit versehenen Bauteile ihre magnetischen Eigenschaften. Durch hochauflösende Wirbelstromtechnik ist ein betriebsparalleles Auslesen des Belastungszustandes möglich – wie bei dem Radträger des Rennwagens.
Informationen als Gold des 21. Jahrhunderts
Dieses Beispiel zeigt: Informationen sind nicht nur in der Kommunikation zwischen Menschen das Gold des 21. Jahrhunderts – auch bei der Kommunikation mit Maschinen oder Bauteilen sind sie entscheidend. Möglich machen dies Sensoren und Steuerungssysteme, die sich in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt haben. Vor allem die extreme Miniaturisierung von Sensoren hat große Fortschritte gemacht. Sie werden immer kleiner und leistungsfähiger.
Möglich wird so die komplette Vernetzung von Gegenständen und Systemen. Die Basis dafür liegt schon weit zurück und wurde bereits 1991 in dem Aufsatz „The Computer for the 21st Century“ vom US-amerikanischen Informatiker Marc Weiser beschrieben. Er prägte den Begriff des „Ubiquitous Computing“. Danach wird der Computer als Gerät aus dem Alltag nach und nach verschwinden und durch „intelligente Gegenstände“ ersetzt. Diese können alles Mögliche sein, zum Beispiel auch Küchenmaschinen: überall dort, wo Materialien Belastungen ausgesetzt werden, Arbeit verrichten oder anderweitigem Verschleiß unterliegen, fallen schließlich entsprechende Informationen an.
Damit soll es bald möglich werden, ermüdungsgefährdete Bauteile zu überwachen, Prognosen der Restlebensdauer von Teilen zu erstellen und Spontanausfälle und damit teure Rückrufaktionen, etwa in der Automobilindustrie, zu vermeiden. Nicht zuletzt werden magnetische Datenspeicherungen direkt in den Bauteilen möglich sowie das Aufbringen eines fälschungssicheren Fingerabdrucks. In Anlehnung an natürliche Prozesse der Informationsweitergabe haben die Forscher für die intelligenten Bauteile den Begriff „gentelligent“ geprägt, der die aus der Biologie bekannten Begriffe „genetisch“ und „intelligent“ verbindet.
Fälschungssicherer Fingerabdruck eines Bauteils
Doch neben der Informationssammlung und -weitergabe von Bauteilen ist eine weitere Motivation der Forscher der Plagiatsschutz: Bereits im Jahr 2013 musste allein der deutsche Maschinenbau 7,9 Milliarden Euro Umsatzverlust durch Plagiate hinnehmen. Lösungsansatz durch gentelligente Bauteile: während eines spanenden Fertigungsprozesses entsteht durch kontinuierlichen Verschleiß einer Schleifmaschine und leicht variierende Spanbildung auf dem Werkstück eine individuelle Oberfläche. Mit Hilfe mathematischer Verfahren können markante Merkmale herausgefiltert werden. Die Verteilung dieser Merkmale ergibt schließlich einen einzigartigen Fingerabdruck des Bauteils, der in einer Datenbank gespeichert werden kann. Dieser unsichtbare und vor allem fälschungssichere Fingerabdruck kann während der Fertigung oder im Laufe des Lebenszyklus eines Bauteils zur eindeutigen Identifizierung genutzt werden. Zum Einsatz kommen könnte dieses Verfahren etwa bei sicherheitsrelevanten Bauteilen in der Luft- und Raumfahrt. Doch nicht nur Bauteile, auch Werkzeugmaschinen könnten bald schon fühlen. Wie Nerven werden dazu kleine Sensoren auf einer Maschine verteilt und bemerken etwa, wenn zu viel Druck ausgeübt wird. Neben Drücken können aber auch Dehnungen oder Temperaturen erfasst werden. Besonderheit der fühlenden Werkzeugmaschine: wie ein Werker, der manuell ein Werkstück bearbeitet, erfühlt sie während der Bearbeitung, ob zum Beispiel ein Werkzeug stumpf ist. Gemessen werden dazu beispielsweise Schwingungen. So signalisiert die Maschine etwa, dass ein sofortiges Eingreifen für eine Korrektur angezeigt ist, wenn Schwingungen beim Fräsen auftreten und die Qualität des Werkstücks leiden könnte.
Dabei ist das nächste Etappenziel schon definiert. Gentelligente Maschinenkomponenten und gentelligente Bauteile sollen schon bald veränderliche Belastungsgrößen werden, beispielsweise Kräfte und Temperaturen während der Herstellungsphase erfassen und verarbeiten können. Das sogenannte gentelligente Produktionssystem ist dann in der Lage, den Gesamtzustand zu beurteilen und bei Bedarf eine Handlungsaufforderung an die Fertigungssteuerung zu übermitteln. Ziel ist letztlich die Fabrik der Zukunft. In ihr sollen Bauteile und Maschinen ständig miteinander kommunizieren und eigenständig Entscheidungen treffen. Der Arbeiter greift dann nur noch ein, wenn es gar nicht mehr anders geht.