Die Region rund um Stuttgart ist das größte Zentrum der Industrie 4.0 in Deutschland.

Esslingen - Weil wir gut sind!“ Diese Antwort von Rudolf Mietzner auf die Frage, warum sich gerade im Großraum Stuttgart so viele Unternehmen an der Industrie 4.0 beteiligen, ist nicht nur scherzhaft gemeint. Der Sprecher des Netzwerks Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg macht den breit gefächerten Mittelstand, der vor allem im Bereich Hightech unterwegs ist, dafür verantwortlich, dass immer mehr Industrie-4.0-Projekte rund um Stuttgart im Kommen sind.

 

Was die Firmen der Region alles in der Industrie 4.0 machen, zeigt beispielsweise Robert Bosch in Stuttgart-Feuerbach. Sie haben in die Werkzeugspindeln einer Fabrik im tschechischen Iglau Sensoren eingebaut, die der Abteilung online zeigen, wann die Spindel kaputtgehen wird. Das heißt, dass teure Standzeiten der Maschinen durch Defekte künftig entfallen.

Die Daimler AG in Stuttgart-Untertürkheim hat ein ähnliches Projekt gestartet. Durch geschicktes Auswerten von Messdaten können die Ingenieure in der Motorenfertigung Produktionsschwankungen vorhersehen. Damit lässt sich der Ausschuss erkennen, noch bevor er produziert wird. Das ist gerade bei Motoren sehr wichtig, weil dort teure Präzisionsmetallteile eingebaut werden.

Digital Worx in Stuttgart hat ein System entwickelt, mit dem sich Arbeitnehmer und Maschinen mithilfe kleiner Sender gegenseitig erkennen. So bekommt der Arbeiter die Produktionsdaten auf sein Tablet gesendet, wenn er sich der Maschine nur nähert. Das Bemühen aller Firmen ist klar. Es geht um eine Steigerung von Effizienz, „das Grundstreben allen Unternehmertums“, wie es Rudolf Mietzner beschreibt.

Festo in Esslingen ist ähnlich unterwegs, und zwar im Bereich der Didaktik. Die Daten eines Mitarbeiters und die Daten der Maschine werden in einem System mit dem Namen Appsist abgeglichen. Das Programm erkennt Wissenslücken des Mitarbeiters und gibt ihm die erforderlichen Informationen, die er zum Betrieb der Maschine braucht.

Das Schlagwort der Industrie 4.0 wurde von einer Kooperation der Bundesregierung mit Ingenieur- und Forschungsverbänden erfunden. Die Verbände haben auch eine bundesweite Plattform Industrie 4.0 ins Leben gerufen. Sie hat eine ähnliche Funktion wie die baden-württembergische Plattform: Sie soll Projekte und Ideen streuen, um die Firmen zu Investitionen in diesem Bereich zu ermutigen. Die beiden Plattformen arbeiten Hand in Hand und tauschen Daten aus.

Wenn es nach den Mitarbeitern der bundesweiten Plattform Industrie 4.0 geht, ist das erst der Anfang. Inzwischen haben sie zehn Szenarien entworfen, wie die Industrie 4.0 die Produktion verändern könnte. Ein besonders schlagendes Beispiel betrifft die Herstellung von Fahrradlenkern, erklärt Jonas Gobert, ein Sprecher der Plattform Industrie 4.0. Der Kunde gestaltet seinen Lenker individuell am Computer und bestellt ihn online. Die Bestellung wird direkt an eine Maschine gesendet, die den Lenker zusammenbiegt; anschließend wird das Fahrradteil automatisch versendet.

Im Grunde wäre dann in der gesamten Wertschöpfungskette kein Mensch mehr beteiligt. Das Aus für den Homo sapiens? „Nein“ sagt Jonas Gobert, „unserer Ansicht nach wird der Mensch immer als gestaltendes Wesen im Mittelpunkt stehen.“

Die Interaktive Landkarte zu Industrie 4.0 gibt es hier:

Sensoren im Hallenboden

Die Esslinger Firma Ondics findet sich auf der Landkarte der Industrie 4.0, auf der das Bundeswirtschafts- und das Bundesforschungsministerium bundesweit 280 konkrete Beispiele veröffentlichen. Ondics bietet das sogenannte Siwiat Ökosystem für Industrie-4.0-Applikationen an. Damit kann das Unternehmen mit zurzeit zehn Mitarbeitern App-Technologien in das Industrieumfeld übertragen und so ein Komplettangebot für Kunden gestalten.

„Wir integrieren Sensor- und Maschinendaten in hallenbodennahe Geschäftsprozesse und intelligente Dokumente“, beschreibt der Ondics-Geschäftsführer Wolfgang Clauss die Siwiat-Technologie. Mit deren Entwicklung wurde vor rund vier Jahren begonnen, 2015 erlangte sie Marktreife. Mittlerweile sei ein komplettes Ökosystem entstanden, bestehend aus Apps, App-Stores und hallenbodengeeigneter Hardware, der Siwiat-App-Box. Das System beruhe auf einem App-Geschäftsmodell, das von Apple und Google auf Hallenböden übertragen wurde. Das Portfolio sei mit Apps sukzessive ergänzt und zu einem Komplettangebot erweitert worden. Für viele Anwendungsfälle existieren fertige Apps, die leicht geladen und angewendet werden können.

Damit seien Industrie-4.0-Lösungen gefunden worden wie beispielsweise ein Füllstand-Monitoring für Tanks in einem Chemieunternehmen, die Klimaüberwachung in Produktionshallen bei Automobilzulieferern, die Temperaturdokumentation von Klimakammern in Pharmakonzernen oder die Wettersensoren-Datenübermittlung zur Internetanzeige. Den Anwendern sei es möglich, ohne Integrations- und Systemkenntnisse Maschinen und Sensoren in Geschäftsprozesse zu integrieren.

Lösungen für Lager und Logistik

Seit 15 Jahren beschäftigt sich die im beschaulichen Sulzbach (Rems-Murr-Kreis) ansässige Firma L-mobile mit mobilen Geschäftsprozessen in den Bereichen Lager, Produktion, Logistik, Sales, Service sowie mit Projektmanagement und Vernetzungen. Daraus entwickelte die Firma, die rund 100 Mitarbeiter beschäftigt, die Lösung L-mobile industrie 4.0. Mit dieser bietet sie einen modularen Baukasten an, den sie im Bereich der Technologie für Sender-Empfänger-Systeme, Ortung und elektronische Etiketten „mit größtem Know-how ergänzt“, erklärt Markus Behr, bei L-mobile Senior Consultant im Bereich Industrie 4.0.

Das Unternehmen liefere nicht nur die Software, sondern betreue das gesamte Projekt, begonnen bei der Beratung, einer Machbarkeitsanalyse, der Konzeptionierung, der Hardwareauswahl bis hin zum Service, sagt Behr. Nicht zuletzt würden durch L-mobile industrie 4.0 die jeweiligen Fertigungsprozesse optimiert.

Das hat offenbar auch eine Jury von Professoren, Branchenexperten und Wissenschaftlern überzeugt, denn sie zeichneten das Produkt mit dem ersten Platz des Industriepreises 2015 in der Kategorie „IT- und Softwarelösungen für die Industrie“ aus. Diesen verleiht der Huber-Verlag für Neue Medien.

L-mobile findet sich mit seinem Produkt e-label auch auf der Best-of-Liste des Innovationspreises IT 2016 wieder. Mit diesem prämiert die Gesellschaft Tüv-Informationstechnik gemeinsam mit der Initiative Mittelstand die innovativsten IT-Lösungen von Unternehmen. In der Würdigung heißt es, L-mobile zeichne sich „durch die einfache und schnelle Kennzeichnung von Lagerplätzen, Werkstücken und Fertigungsaufträgen aus – ganz ohne Papier“.

Die fünf Schritt der Industrie

Industrie 1.0
Die industrielle Revolution begann mit der Erfindung der Dampfmaschine 1780 in England, dann griff sie auf Westeuropa über. Nun konnten große Bergwerke betrieben werden, und die wachsende Stahlproduktion bildete den Grundstock für die maschinelle Produktion. Die industrielle Revolution ging einher mit einer weitreichenden Veränderung der Gesellschaft, in der als neue Schicht die Arbeiterklasse entstand. Auch weitreichende soziale Probleme gingen damit einher.

Industrie 2.0
Henry Ford erfand 1913 die Fließbandproduktion in den USA. Dadurch konnte er die Produktkosten um das Achtfache verringern und höhere Löhne zahlen. Allerdings ist das monotone Arbeiten am Fließband gesundheitsschädlich und wurde später durch Gruppenarbeit ersetzt.

Industrie 3.0
In den 60er Jahren wurden in den USA erstmals Maschinen durch Computer gesteuert. Sie wurden noch mit Lochkarten programmiert. Dadurch konnten sie extrem schnell umgerüstet werden und komplizierte Bewegungen ausführen.

Industrie 4.0
Die Maschinen, die Produkte und die Arbeiter werden im Internet vernetzt. Dadurch kann der Produktionsprozess ferngesteuert und fernüberwacht werden. Sensoren zeigen den Zustand der Produktionsmittel und der Produkte an.

Industrie 5.0
Maschinen, die sich selbst entwerfen, sind noch Science-Fiction.