Für die baden-württembergische Wirtschaft hat sich die sommerliche Erholungsphase schon wieder erledigt – der Herbst bringt die trübe Stimmung zurück. Das ist die wesentliche Erkenntnis der aktuellen Konjunkturumfrage der zwölf Industrie- und Handelskammern im Land.
Demnach bewerten 26 Prozent der Unternehmen ihre Geschäftslage als gut, knapp 25 Prozent aber als schlecht. Weniger als ein Fünftel rechnet mit einer Verbesserung der Geschäftslage binnen zwölf Monaten, knapp ein Viertel mit einer Verschlechterung. Die Hauptgründe für den Pessimismus seien die schwache Inlandsnachfrage, hohe Energie- und Arbeitskosten, anhaltende Unsicherheit in der Handelspolitik und eine gebremste Weltkonjunktur.
„Mehr handeln – nicht nur reden“
Claus Paal, Vizepräsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK), fordert von der Politik mutige Entscheidungen. „Wir wissen genau, was kommt, wenn wir nicht handeln.“ Das Land dürfe nicht länger auf den Bund oder die EU warten – und im Bund müssten noch im Herbst die angekündigten Reformen kommen. „Unsere Unternehmen brauchen Verlässlichkeit und Planungssicherheit“, betont er. „Wir erleben gerade eine fatale Endlosschleife: Bund, Länder und Europa schieben sich gegenseitig Verantwortung zu – und niemand entscheidet. Wir müssen endlich wieder Verantwortung übernehmen.“
„Wir haben den Kipppunkt längst überschritten“
Gerade die Industrie sieht sich in der Misere: Wie im Frühsommer bewerten 20 Prozent der Betriebe ihre Geschäftslage als gut. 32 Prozent nennen diese schlecht (plus vier Prozentpunkte). Die exportorientierte Wirtschaft leidet unter hohen Zöllen, schleppender Nachfrage und einer unklaren Handelspolitik. Beunruhigend erscheint vor allem die anhaltend schwache Investitionsbereitschaft: Lediglich 18 Prozent aller Unternehmen planen höhere Inlandsinvestitionen, während 27 Prozent weniger investieren wollen. Expansion spiele kaum noch eine Rolle, heißt es.
Dass dies nicht ohne Auswirkungen auf die Beschäftigung bleibt, ist klar: Lediglich zwölf Prozent der Unternehmen erwarten steigende Beschäftigtenzahlen, 28 Prozent rechnen mit einem Rückgang. „Wir haben den Kipppunkt längst überschritten“, warnt Paal. „Bürokratie erstickt Innovation, Gründungen und Wachstum.“ Neun von zehn Unternehmen würden beklagen, dass sie durch übermäßige Vorschriften gebremst werden. An der vom 15. September bis 2. Oktober durchgeführten Umfrage hatten sich insgesamt 3664 Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistungen beteiligt.
„Die Verwaltung lähmt die Unternehmen und sich selbst“
Gerade die Landespolitik sehen die BW-Oberen in der Pflicht: Am Freitag stellten sie ihr Positionspapier „Kurs Wirtschaftswende“ zur Landtagswahl vor. BWIHK-Präsident Jan Stefan Roell forderte unter anderem von der künftigen Regierung, „Regulatorik deutlich abzubauen und Verwaltung zu verschlanken“. 90 Prozent der Unternehmen sähen hier eine Verschärfung ihrer Wettbewerbsbedingungen. „Regulatorik lähmt ja nicht nur die Entwicklung von Unternehmen, es lähmt ja auch die Verwaltung selbst.“
Er wolle ein „anderes Mindset in der Verwaltung“. Dazu sei es „unbedingt erforderlich, dass juristisch klar ist, dass die Menschen, die dann Entscheidungen treffen, nicht persönlich in die Ecke gestellt werden, sondern dass die gedeckt werden“. Dies sei die die Aufgabe des Gesetzgebers, „dafür zu sorgen, dass eine engagierte Verwaltung sich nicht selber schadet“.
Nicht-EU-Studenten von den Studiengebühren befreien
Ein „Befreiungsschlag“ bedeute aber auch, das neue Regelungsbefreiungsgesetz im Land zu nutzen, ein Belastungsmoratorium für neue Bürokratiepflichten zu erlassen, die Verwaltung zu digitalisieren, Prozesse zu vereinheitlichen. Ferner müsse die Innovationsförderung vereinfacht werden, Industrie und Verteidigung müssten stärker verzahnt werden.
Auf dem Feld der Bildung sollten die internationalen Nicht-EU-Studenten von den Studiengebühren befreit werden, finden die Industrie- und Handelskammern. Diese Hürde schwäche den Wettbewerb um MINT-Talente. Die ausländische Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt müsse vielmehr weiter vereinfacht werden, auch für Auszubildende. Dafür müssten die Ausländerbehörden und die Landesagentur für Fachkräftezuwanderung personell, digital und organisatorisch besser ausgestatten werden.
„Wir erwarten von unserer Landespolitik, dass sie wirklich für uns kämpft in Berlin und Europa, damit uns nicht zusätzliche Knüppel in den Weg gelegt werden“, mahnte Roell. Bürokratie werde großteils in Europa erdacht. Er habe aber „ein relativ großes Vertrauen“, dass die Forderungen der Wirtschaft erhört werden, „weil sich die Stimmung so gedreht hat in unserem Bundesland, dass die politisch Verantwortlichen das merken“. Die Verunsicherung der Betriebe sei groß; in diesem Zustand würden Investitionsentscheidungen storniert und zurückgestellt. Mit fast allen Spitzenkandidaten seien Vorgespräche geführt worden. „Ich glaube, dass sie das absolut auf dem Schirm haben“, so Roell. „Die Botschaft kommt mehr und mehr an.“
Die noch im Amt befindliche grün-schwarze Regierung lobt er, dass die „Parteien von außen erkennbar gut zusammengearbeitet haben“ – es gebe nicht wie auf anderen Ebenen laufend irgendwelche Konflikte in der Öffentlichkeit. Bei der Masse der Themen sei die Kooperation in der Wirtschaft als gut empfunden worden – „es sind ja eine ganze Menge positiver Sachen auf den Weg gebracht worden“, betont der BWIHK-Präsident.