Industriekrise im Südwesten Wo bleibt das Bündnis für Arbeit 2.0?
Die Talfahrt der Industrie im Südwesten zwingt zu einem starken Signal des Miteinanders statt kleinteiliger Streitereien – zu einem neuen Bündnis für Arbeit, meint unser Autor.
Die Talfahrt der Industrie im Südwesten zwingt zu einem starken Signal des Miteinanders statt kleinteiliger Streitereien – zu einem neuen Bündnis für Arbeit, meint unser Autor.
Der Niedergang der Automobilindustrie hat Konsequenzen: Auf breiter Front droht der Schwund an Beschäftigung. Die Unternehmen schreiten mit ihren Personalabbau- und Verlagerungsplänen voran. Bisher werden sozialverträgliche Programme über mehrere Jahre angekündigt, doch hält die IG Metall bereits Entlassungswellen für möglich, wie es sie seit 35 Jahren nicht mehr gegeben hat.
In der zweiten, dritten oder vierten Reihe der Wertschöpfungsketten dürfte es bei der Verkleinerung von Belegschaften nicht bleiben; dort bahnen sich im Verborgenen sogar zahlreiche Insolvenzen an, weil kleineren und mittleren Unternehmen in vierten Jahr der Krise finanziell die Luft ausgeht.
Die Regierenden reagieren bisher mäßig alarmiert. Erkennen sie den Ernst der Lage noch nicht? Es geht um Symbolfragen wie das Verbrenner-Aus oder etwa Bürokratieabbau – weniger darum, wie der Aderlass konkret aufgehalten werden kann. Man lässt die Dinge einfach laufen. Die Jobs zu erhalten, muss jedoch höchste Priorität haben. Somit kommt ein altbekanntes Instrument in den Blick, das Bündnis für Arbeit.
Es war der damalige IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, der vor exakt 30 Jahren einen Handel vorschlug: niedrige Lohnabschlüsse gegen die Schaffung von Arbeitsplätzen. Der Gewerkschaftsbund weitete den Vorstoß auf die gesamte Wirtschaft aus. Die Vergleichbarkeit ist begrenzt. So waren damals 3,6 Millionen Menschen arbeitslos, Tendenz rasant steigend. Zugleich schrumpfte die Zahl der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie zwischen 1992 und 1997 von vier auf drei Millionen. Danach brauchte es etwa 25 Jahre, um das frühere Niveau wieder zu erreichen. Trotz eines weiteren Anlaufs 1998 blieb den Bemühungen der große Durchbruch verwehrt – es war lediglich das Vorspiel für die Agenda 2010.
Soll ausgerechnet dieser wenig nachhaltige Vorstoß ein Erfolgsrezept für die Gegenwart sein, in der die Strukturbrüche für die Industrie viel größer sind? Heute bahnt sich der Verlust der Technologieführerschaft in zentralen Branchen an. Ob man es nun „Bündnis für Arbeit und Transformation“ oder Schutzschirm oder anders nennt – die Logik bleibt dieselbe: Es bräuchte einen verlässlichen Pakt von Politik und Sozialpartnern – mit Zusagen für eine gezielte staatliche Unterstützung, für geringere Lohnsteigerungen, für den Erhalt der Jobs. Die Menschen verlangen nach Sicherheit. Zweifel sind zwar angebracht. Verbände können keine Garantien stellvertretend für Unternehmen abgeben. Wenn diese aber Fördermittel in Anspruch nehmen wollen, sollten sie sich zu Investitionen am Standort verpflichten, statt nur noch im Ausland zu investieren. Es braucht das Bekenntnis, die Zukunftsfelder in Deutschland weiter zu betreiben.
Die Bereitschaft der Konzerne, Beschäftigung zu halten, schwindet; die Solidarität zum Standort hat unter dem Druck der Zahlen keinen besonderen Wert mehr. Auch gilt Kurzarbeit nicht mehr als Rettungsring – anders als in der Finanzkrise 2008/2009 meinen die Unternehmen diesmal nicht, alle ihre Fachkräfte an Bord halten zu müssen. Manager tragen eine Mitschuld an der verkorksten Mobilitätswende – sie dürfen sich nicht leise ihrer Verantwortung entledigen.
Zugleich sind die Gewerkschaften den Realitäten verpflichtet. Die goldenen Zeiten sind vorbei. Die stattlichen Einkommenszuwächse sind ein Teil des Problems, wenngleich die international kaum wettbewerbsfähigen Arbeitskosten diverse Gründe haben. Gefordert ist das Signal aller Beteiligten, zur Abwehr der Deindustrialisierung zusammenstehen zu wollen. Der Wille zum konstruktiven Handeln fehlt in einer quälenden Phase lautstarker Schuldzuweisungen – als sei die Misere noch nicht groß genug.