Der schlechte Zustand des Schienennetzes führt zu vielen Verspätungen. Der größte Konkurrent der Deutschen Bahn hat den Staatskonzern deshalb sogar verklagt.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Die Deutsche Bahn AG hat den wichtigsten Zielwert für die Erhaltung des bundeseigenen Schienennetzes voriges Jahr weit verfehlt. Dem Staatskonzern drohen deshalb erhebliche Strafzahlungen. Die Strafen könnten fast 200 Millionen Euro betragen, allerdings hat der Bund die Strafzahlungen auf weniger als ein Zehntel zu Gunsten der Bahn begrenzt. Das zeigen Recherchen unserer Redaktion.

 

Die Bahntochter DB Netz AG erhält für den Betrieb und den Erhalt der Infrastruktur, die fast 61 000 Kilometer Gleise und mehr als 5600 Stationen umfasst, jedes Jahr mehrere Milliarden Euro Zuschuss aus der Steuerkasse. Die Pflichten des Unternehmens sind in der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV II) geregelt. Die Bahn muss die Leistungen und den Mitteleinsatz in einem jährlichen Infrastrukturzustandsbericht (IZB) nachweisen.

Der IZB 2015, den derzeit noch das Eisenbahnbundesamt (EBA) als Aufsichtsbehörde prüft, liegt unserer Redaktion vor. Wichtigste Kennzahl ist der „theoretische Fahrzeugverlust Gesamtnetz“. Damit wird berechnet, in welchem Umfang Infrastrukturmängel zu Verspätungen führen. Der Zielwert laut LuFV II liegt bei maximal 356 Minuten. Mit 420 Minuten hat die DB Netz AG das Ziel deutlich verfehlt.

Bei der absoluten Zahl der Mängel hat die Bahn ihr Ziel erreicht

Ein Bahnsprecher begründet das mit der bisher nicht erfolgten Wieder-Inbetriebnahme des Berliner Südinnenrings, die stark zu Buche geschlagen habe. Nach den „anspruchsvollen Zielwerten“ der LuFV II habe die DB Netz eine Verbesserung von 44 Minuten geschuldet und bundesweit sogar 75 Minuten erreicht. Wegen der Verzögerungen in Berlin sei der Zielwert aber dennoch nicht erreicht worden.

Die weiteren sieben der insgesamt acht Zielwerte hat der Konzern laut seinen Angaben im IZB geschafft. Dazu gehören die absolute Zahl der Mängel (821, Zielwert max. 833), der Zustand der Bahnsteige und die Versorgung der Züge mit Energie. Dennoch müsste die DB Netz AG allein wegen der Verspätungsminuten rechnerisch rund 192 Millionen Euro Vertragsstrafen zahlen.

Denn §17 der LuFV II bestimmt, dass der Bund seinen Infrastrukturbeitrag an den Konzern ganz oder teils zurückfordern kann, wenn die Qualitätsziele und geforderten Mindestausgaben verfehlt werden. Dort ist auch geregelt, dass pro Verspätungsminute drei Millionen Euro fällig werden. Doch ein Zusatz regelt auch, dass die Pönale bei Verfehlung eines Zielwerts auf „maximal 15 Millionen Euro“ begrenzt sind. Das betont auch das Bundesverkehrsministerium auf Anfrage.

Das hohe Alter der Brücken steigt

Diese Deckelung spart dem Staatskonzern allein in diesem Fall also rund 177 Millionen Euro. Der Bahnsprecher der Grünen im Bundestag, Matthias Gastel, kritisiert das scharf: „Bei einem staatlichen Zuschuss von mehr als drei Milliarden Euro pro Jahr ist eine Vertragsstrafe von 15 Millionen Euro geradezu lächerlich.“ So falle jeder Anreiz zur Erreichung der Vertragsziele weg.

In der Verantwortung sieht Gastel die Bundesregierung: „Das ist ein schönes Beispiel für die Schaufensterpolitik von Verkehrsminister Dobrindt. Minister Dobrindt brüstet sich bei jeder Gelegenheit mit den milliardenschweren Ausgaben in die Infrastruktur, aber in der Sache hat er einen ziemlich schlechten Vertrag ausgehandelt.“

Der IZB zeigt auch an anderer Stelle den problematischen Zustand des Schienennetzes. So steigt das hohe Alter der fast 26 000 Brücken weiter an, die DB verweist dazu auf geplante hohe Ersatzinvestitionen. Auch die Beseitigung von Störungen dauerte 2015 länger, was der Konzern mit vielen „Extremwetterlagen“ begründet. Im IZB, der mehr als 260 Seiten umfasst, zeichnet die DB insgesamt ein rosiges Bild der Lage, das Kritiker als stark beschönigt empfinden.

Der größte Bahn-Konkurrent hat die Geduld verloren

Der größte DB-Konkurrent Transdev (früher Veolia) hat mittlerweile die Geduld verloren und die DB verklagt, weil die Infrastruktur auf Strecken, die Transdev zum Beispiel in Oberbayern befährt, so unzuverlässig ist, dass große Verspätungen eingefahren werden. Als Folge bekommt der französische Verkehrskonzern, zu dem unter anderem die Württembergische Eisenbahn-Gesellschaft (WEG), die Nord-Ostsee-Bahn und die Bayerische Oberlandbahn gehören, seinerseits als Strafe weniger Geld von den Ländern als Besteller des Nahverkehrs.

„Die DB Netz darf sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen“, kritisiert der Chef von Transdev in Deutschland, Christian Schreyer. Der Konzern erfülle als Betreiber der Infrastruktur vertragliche Leistungen nicht, weigere sich aber, den Schaden zu erstatten, der wegen Verspätungen und Zugausfällen aufgrund mangelnder Infrastruktur entstehe. Das sei „ein Fehler im System“. Transdev will Schadenersatz für alle Tochterunternehmen verlangen, wenn die erste Klage Erfolg hat. Falls andere DB-Konkurrenten dem Beispiel folgen, könnten erhebliche Ausgleichsforderungen auf den Staatskonzern zukommen.