Noch sind sie weit in der Unterzahl, aber immer mehr junge Frauen ergreifen ein technisches Studium. Unternehmen und Hochschulen fördern das.

Stuttgart - Die deutsche Wirtschaft klagt über Fachkräftemangel vor allem im Technikbereich. 40 000 Ingenieursstellen sind landesweit unbesetzt. Initiativen wie Girls' Day und Frauenuni sollen Schülerinnen schon früh für ein technisches Studium begeistern. Denn 2011 war nur jeder zehnte Ingenieur eine Frau. Für den Berufseinstieg bieten viele Firmen besondere Programme. Klassischer Einstieg ist nach wie vor das Praktikum.

 

Frauen sind in den MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, mittlerweile auf dem Vormarsch. Die Zahl der Ingenieursabsolventinnen lag im Prüfungsjahr 2010 so hoch wie nie zuvor, das waren 13 159 Frauen (zum Vergleich: 46 090 Männer). Zwischen 1995 und 2010 lag die Steigerung des Frauenanteils bei 85,7 Prozent.

Melanie Beck ist Produktmanagerin in Boschs Geschäftsbereich Packaging Technology. Die Unit plant und liefert Verpackungslinien unter anderem für die Nahrungsmittel- und Pharmabranche. Seit vier Jahren betreut die Stuttgarterin Maschinen, die beispielsweise Vitamin C in verdauliche Hartkapseln abfüllt. Ihr Studium der Pharmatechnik schloss die 29-Jährige an der FH Sigmaringen ab, als eine von 15 Frauen. Nach mehreren Praktika bei Pharmaunternehmen war der jungen Frau klar, dass sie in eine andere Richtung gehen will: 'Meine Ausbildung ist eigentlich ein Studium der Verfahrenstechnik, mit pharmazeutischem Wissen angereichert', erläutert die Diplom-Ingenieurin. Heute fungiert Beck in ihrem Verpackungsbereich für Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel als Bindeglied zwischen Marketing, Vertrieb und Technik. Für ihr Produkt geht sie weltweit auf Messen, schult den Vertrieb, überwacht Werbemaßnahmen und ist maßgeblich an technischen Neuerungen ihrer Dosierstation beteiligt. 'Wir haben es hier mit einem erklärungsbedürftigen Produkt zu tun, von dem wir nur wenige im Jahr verkaufen', erklärt Beck, warum ihr persönlicher Einsatz als Expertin oft nötig ist. Der Einstieg bei Bosch gelang ihr 2007 über die Tochterfirma Valicare. Von ihrer Stelle dort bewarb sich die Ingenieurin quasi intern weiter. Heute ist sie die einzige Frau im Maschinen-Produktmanagement im gesamten Geschäftsbereich.

Die Akzeptanz steigt stetig

Auf die Frage, wie man sich in einer Männerwelt durchsetzt, lacht die junge Frau und sagt: 'Mit Kompetenz und Charakter, wie alle anderen auch. Vor allem arabische Kunden sind manchmal verwundert, wenn ihnen eine Blondine was von Technik erzählt. Aber die Akzeptanz steigt stetig.' Beck, die sich mit interkulturellen Trainings für ihren Job weiterqualifiziert, weiß, wie sie sich Gehör verschafft. 'Man braucht Durchsetzungsvermögen und muss schlagfertig sein. Auch wenn es eine Durststrecke zu überwinden gilt', weiß die Ingenieurin. Christine Turtschany war ebenfalls im Unternehmen bekannt, bevor sie bei der Braun GmbH in Marktheidenfeld fest eingestellt wurde. Die 29-Jährige absolvierte vorab ein Praktikum und ihre Diplomarbeit, bevor sie im April 2011 in die Firma kam. Die Maschinenbauerin schloss nach der Schule eine Ausbildung als Augenoptikerin ab, auch das schon ein technischer Beruf. Ihr Vater, der als Kunststofftechniker arbeitete, sowie die guten Jobaussichten nach dem Studium waren für sie Kriterien, sich für den Studiengang in Schweinfurt zu entscheiden. 'Natürlich war der Hauptgrund mein Interesse an technischen Zusammenhängen', sagt sie.

Der Einstieg bei Braun sei zwar unproblematisch gewesen, weil sie den Betrieb ja bereits kannte, dennoch musste sie ein mehrtägiges umfangreiches Auswahlverfahren durchlaufen. Nach einer schriftlichen Bewerbung legte sie mehrere Tests ab und trat zum persönlichen Interview an. Heute betreut Turtschany die Produktion von Verpackungen. Im Projektmanagement ist sie zuständig für die Verbesserungen ihrer Produkte und fungiert als Bindeglied zwischen Entwicklung und Produktion. In ihrem direkten Umfeld ist sie die einzige Frau, in ihrer Abteilung ist sie eine von drei Ingenieurinnen. Die Diplom-Maschinenbauerin findet es schade, dass so wenige Frauen technische Berufe ergreifen. In ihrer Studienzeit coachte sie deshalb Studienanfängerinnen während eines Mentorenprogramms. Frauen, die sich für ein Ingenieursstudium interessieren, rät Turtschany: 'Einfach trauen.'

Natürlich sei man im Job von vielen Männern umgeben, aber Firmen wie Braun legen großen Wert auf gemischte Teams. 'Die Unterstützung des Unternehmens habe ich, und ich fühle mich in meinem Umfeld sehr wohl', sagt die Ingenieurin. 'Ich finde sogar, dass man es als Frau bei uns recht leicht hat. Der Umgang ist sehr nett', sagt die Karbacherin aus der Region Main-Spessart. Die Braun GmbH engagiert sich dafür, weibliches Personal zu gewinnen. Beim Programm 'Mädchen in die Technik' kommen Schülerinnen nach dem Unterricht für Projekte in die firmeneigene Werkstatt. Mädchen soll hier die Angst vor Männerdomänen genommen werden. Der jährliche Girls' Day gehört zum Standardprogramm, und jedes Jahr wird das Interesse größer. Zuletzt nahmen 40 Mädchen und junge Frauen teil. Dabei hat die Braun GmbH es weniger nötig als andere Unternehmen. 28 Prozent der Auszubildenden sind weiblich, und im dualen Studiengang Mechatronik an der DHBW Mosbach studieren zur Hälfte angehende Ingenieurinnen.