Der StZ-Kolumnist und Blogger Peter Glaser schreibt über die ruppigen Sitten der Inhaltskontrolle des sozialen Netzwerks anhand eines pikanten Beispiels.

Berlin - Vor ein paar Tagen will ich wie jeden Tag bei Facebook nachsehen, ob der Cyberspace noch steht. Plötzlich: Sicherheitsüberprüfung. Damit gewährleistet ist, dass ich tatsächlich ich bin. Damit alles sicher bleibt. Ich soll entweder meine Telefonnummer eingeben oder auf Fotos Facebook-Freunde identifizieren.

 

Die Aufforderungen sind so dreist, dass ich im ersten Augenblick denke, mein Zugang sei gehackt worden. Meine Telefonnummer geht Facebook nach wie vor nichts an. Also dann die Fotos. Darunter stehen jeweils ein paar Namen, von denen einer der richtige ist. Ich bin auf Facebook mit mehr als 2000 Menschen in Kontakt – ich weiß nicht, wie die alle aussehen. Facebook ist jener Teil der Realität, in dem man Freunde hat, die man nicht kennt.

Dann eine „Warnung“ von Facebook: „Hallo – Inhalte, die du auf Facebook geteilt hast, wurden aufgrund eines Verstoßes gegen die Erklärung der Rechte und Pflichten von Facebook entfernt. Geteilte Inhalte, die Nacktheit oder jegliche andere Art von expliziten sowie sexuell anzüglichen Inhalten enthalten, sind auf Facebook nicht gestattet. Diese Nachricht gilt als Warnung.“ Und beim nächsten Mal könnte nicht nur einem „Inhalt“, sondern auch mir selbst die Auslöschung drohen.

Der Schwanzhund. Sie haben den Schwanzhund gelöscht.

Ein letzter Triumph für Loriot

Ich muss das erklären. Seit ein paar Jahren betreibe ich für die Stuttgarter Zeitung das Blog „Glaserei“, hier breite ich Fundstücke aus meinen täglichen Streifzügen durchs Netz aus. Neulich habe ich ein Foto aufgegabelt, auf dem ein schlafender Hund zu sehen ist. Durch einen Zufall löst das Foto im menschlichen Wahrnehmungssystem das aus, was man ein Vexierspiel nennt. Einmal sieht man einen Hund. Dann sieht man die Umrisse eines riesigen Penis. Dann wieder einen Hund. Der Fotograf hat das mit erheitertem Staunen im Dateinamen vermerkt („Mein Hund sieht aus wie ein flauschiger Penis“).

Der Hund kann nichts dafür (Wofür?), der Fotograf auch nicht. Etwas passiert im Bewusstsein des Betrachters. Facebook hat das Hundefoto, dem ich den Titel „Schwanzhund“ verliehen habe, gelöscht und mich verwarnt (Wofür?). Unter dem Bild habe ich vermerkt: „In memoriam Loriot“. Ein Link führt von dort auf die Scrabble-Szene aus dem Loriot-Film „Ödipussy“ (!), in der zwei ältere Damen und ein Herr im Anzug Worte legen, unter anderem     „Quallenknödel“, „Hundnase“ und „Schwanzhund“. Man kommt zu dem Schluss, dass es das von Tante Mechthild gelegte Wort „Schwanzhund“ nicht gibt.

Als ich das Foto des schlafenden Hunds gesehen habe, war mir sofort – und auf eine triumphale Weise, an der Loriot sich ruhig noch hätte mitfreuen dürfen – klar: Gibt es doch! Ein neues Wort, das schon mal provisorisch geschaffen worden war, war nunmehr faktisch in die Welt getreten. Ich bin Schriftsteller, für mich ist das etwas Feines. Selbstverständlich habe ich für den Fall eines sittlich oszillierenden Fotos wie das des schlafenden Hunds Kriterien, die ich befrage, ehe ich ein solches Fundstück empfehle. Ich bedenke, dass in meiner Liste von sogenannten Facebook-Freunden lauter Erwachsene sind. Ich freue mich, dass sich durch den Verweis auf Loriot eine gewisse zivilisierte Selbstverpflichtung, nicht in unpassende Richtungen zu assoziieren, in die Angelegenheit bringen lässt – und zwar ohne Spielverderber sein zu müssen und indem es weiter vergnüglich bleibt, nunmehr als kleiner Tribut an den großen Vicco von Bülow.

Die Facebook-Anti-Porno-Brigade

Bei Facebook scheint der Inhalt von „Inhalten“ aber niemanden zu interessieren. Es geht offenbar eher darum, sich die Teilnehmer mit möglichst geringem Arbeitsaufwand vom Hals zu halten. Sie sollen brav miteinander spielen und den Reklamerand lesen, sonst fliegen sie raus. Das ist das Gegenteil von sozial.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie der Schwanzhund auf den Index geraten sein kann. Das Blog „Gawker“ berichtete Mitte Februar von einem Marokkaner, der – für einen Dollar in der Stunde – für ein Subunternehmen im Auftrag von Facebook in einer Art Antiporno-Brigade tätig war (und sich missbraucht und ausgebeutet fühlte). Wie sollte so jemand die Ironie dieser Schwanzhundgeschichte erkennen, den eigentlichen Inhalt dieses kleinen – per se sozialen – Kommunikationsversuchs? Stattdessen entsteht eine missverständliche, vergröberte Situation, die pornografisch tut. Die zweite Möglichkeit: ein anderes Facebook-Mitglied hat den Beitrag als „anstößig“ gemeldet. In dem Fall nimmt kein Mensch mehr mit einem Kontakt auf, sondern eine Software zur Prozessautomation im Geschäftsverkehr, die einem einen Textbaustein zustellt.

Eine Software spricht Verwarnungen aus

Ich bin bereit zu akzeptieren, dass es Menschen geben könnte, die Loriot nicht kennen, weshalb auch immer. Ich bin, sofern sich dadurch bewaffnete Auseinandersetzungen vermeiden lassen, äußerstenfalls auch bereit, Witzerklärungen zu geben. Es ist ein Marsch durch ein tiefes Tal, aber wenn es der Verständigung dienen sollte, erkläre ich auch, warum ich etwas komisch finde und was überhaupt das Komische an dem Komischen ist. Das ist dann zwar nicht mehr komisch, aber dafür hat man es erklärt. Es hat, mit anderen Worten, ein in der Bilanz positiver sozialer Vorgang stattgefunden.

So etwas erwarte ich in einem Verein, der sich „soziales Netzwerk“ nennt, schon an der Garderobe. Daran, dass es da gar keine Garderobe gibt, kann man aber schon die Qualität der Probleme erkennen. Die sozialen Netze sind eine Welt, in der wir uns nun zusätzlich befinden, und zwar in einer bemerkenswerten Totalität. Diese Netze umgeben uns wie Sauerstoff – nicht ganz so lebensnotwendig, aber wie total sie uns umgeben, merkt man als Erstes daran, dass in dieser Welt niemand mehr grüßt oder sich verabschiedet. Alles ist immer da, wir auch.

Großer Bruder ohne Gesicht

Die Betreiber dieser globalen Gastwirtschaft sind eigenartig unsozial, mit Abstand führend darin ist Facebook. Hier hat nicht einmal mehr der Große Bruder ein Gesicht. Eine Software spricht Verwarnungen aus: Du wirst gelöscht, wenn du dich nicht an die diffusen Regeln hältst.

Das Betriebssystem meines Computers siezt mich, ich schätze das. Von Facebook werde ich ungefragt geduzt. Sie hätten dort gerne, dass wir miteinander in der digitalen Sandkiste spielen.

Das Geschäftsmodell von Facebook besteht nicht darin, eine neue soziale Öffentlichkeit zu schaffen, wie viele glauben. Der Raum, in dem die 800 Millionen Facebook-Nutzer sich bewegen, ist keine Öffentlichkeit – es ist der Verfügungsbereich eines Privatunternehmens. Und hier gilt das Hausrecht. Sie können mich rausschmeißen, wenn ihnen meine Nase nicht passt.

Was den Schwanzhund angeht: das Foto nebst Loriot-Link habe ich außer bei Facebook auch bei Twitter, Google+ und Pinterest, dem letzten Schrei unter den sozialen Netzen, platziert. Bei Google+ gibt es dazu einen mehr als 100 Kommentare umfassenden, zum Teil kontroversen Austausch, den ich bedeutend sozialer finde als die verständnislose Löschung. Bei Pinterest, einem weltweiten digitalen Pinbrett, das bevorzugt von Frauen genutzt wird, kann ich sogar sehen, wie die Schubladen der persönlichen Bildersammlung heißen, in die Nutzerinnen den Schwanzhund jeweils abgelegt haben – etwa „Humor“, „LOL“, „makes me haha“ oder „Love“.