Die EU stellt bewährte Naturschutzgesetze auf den Prüfstand. Der Naturschutzbund Nabu befürchtet das Schlimmste – nämlich einen Rückschritt im EU-Naturschutz um 30 bis 40 Jahre.

Stuttgart/Brüssel - Der Naturschutzbund Nabu schlägt Alarm. Die EU-Kommission unterzieht derzeit die EU-Vogelschutzrichtlinie und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) einem sogenannten Fitness-Check. Hinter dieser Überprüfung der Wirksamkeit der beiden für den Naturschutz in Europa wegweisenden Gesetze jedoch stehe das Vorhaben des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, die EU-Naturschutzrichtlinien zu „modernisieren“, erläutert der Nabu-Landesvorsitzende Andre Baumann. „Wir befürchten Schlimmstes: einen Rückschritt im EU-Naturschutz um 30 bis 40 Jahre.“ Einige Regierungen, vor allem aus Südeuropa, sowie Lobbyistengruppen, insbesondere aus dem Agrarsektor, forderten in diesem Zusammenhang eine Abschwächung der Naturschutzgesetze. Diese wollten „die Gesetze schleifen“, so Baumann.

 

Damit seien die „weltweit wirkungsvollsten Instrumente für den Artenschutz“ in Gefahr. Die Vogelschutzrichtlinie war 1979 erlassen, die FFH-Richtlinie vor 23 Jahren unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) beschlossen worden. Diese beiden Gesetze hätten bereits viele Tier- und Pflanzenarten gerettet. Beispielsweise brüteten dank des Erhalts der Brutplätze wieder Kraniche in Deutschland. Der vor 30 Jahren vom Aussterben bedrohte Wanderfalke mit nur noch etwa 20 bis 30 Paaren habe sich erholt und sei inzwischen gar von der Roten Liste für bedrohte Tierarten gestrichen worden. Auf 17,3 Prozent der Landesfläche in Baden-Württemberg seien 260 FFH- und 90 EU-Vogelschutzgebiete ausgewiesen, die zum EU-Natura-2000-Netzwerk gehören, dem weltweit größten Schutzgebietsnetzwerk.

Nabu sieht „Naturschätze“ in Gefahr

Baden-Württemberg habe einige „Naturschätze“ von europaweiter Bedeutung, erklärt der Nabu-Chef. Dazu zählen etwa die Schilfgürtel am Bodensee, die Moore Oberschwabens, die blumenbunten Flachlandmähwiesen und die Wacholderheiden auf der Schwäbischen Alb. Ohne den Naturschutz der EU sähe „unsere Heimat weniger schön und vielfältig aus“, erinnert Baumann und verweist darauf, dass aus Brüssel viele Millionen Euro kämen, die mit Kofinanzierung vom Land zu dem Schutz und der Förderung der Natura-2000-Gebiete dienten. Die Schäfer im Land und viele Landwirte erhielten für ihre landschaftspflegerischen Leistungen oder den Verzicht auf intensive Bewirtschaftung Gelder. Der Vertragsnaturschutz sei für diese „ein wichtiges wirtschaftliches Standbein“ geworden. Das Land baue derzeit Landschaftserhaltungsverbände auf, um gemeinsam mit Landwirtschaft und Kommunen die Pflege der Schutzgebiete zu fördern. Insofern ist die Kampagne gegen Natura 2000, mit der der Deutsche Bauernverband derzeit den EU-Fitness-Check begleite, für Baumann nicht nachvollziehbar. Dieser fordert, dass das gesellschaftliche Ziel der Erhaltung seltener Arten und Lebensräume nicht „allein zu Lasten der Landnutzer“ gehen dürfe. Auch die Forstkammer Baden-Württemberg hat die privaten und kommunalen Waldbesitzer aufgefordert, sich an der EU-Konsultation zu beteiligen und auf die durch den Naturschutz eingeschränkte Bewirtschaftung hinzuweisen.

Die EU-Naturschutzgesetzgebung sei nicht so starr und wirtschaftsfeindlich wie behauptet, versucht Baumann das Bild zurechtzurücken. Viele Betriebe hätten sich auf die seit mehr als 20 Jahren geltenden Gesetze eingestellt und damit arrangiert, etwa der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg, der beim Rohstoffabbau in Steinbrüchen Maßnahmen zum Schutz der streng geschützten Gelbbauchunke treffe. Auch beim Bau von Windkraftanlagen gebe es flexible Lösungen zum Vogelschutz.

Gesetzeslockerung bedroht Millionen von Singvögel

Ein Aufweichen des EU-Naturschutzgesetzes jedenfalls könnte Millionen von Rotkehlchen, Mönchsgrasmücken, Nachtigallen und Wespenbussarden den Tod bringen. Denn viele Länder in Südeuropa würden nur zu gerne den Vogelfang wieder einführen – Leimruten, Fangnetze könnten dann ebenso erlaubt werden wie der Abschuss von Zugvögeln, zeichnet der Nabu-Landeschef ein düsteres Bild. Baumann appelliert an die Abgeordneten auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene, sich für den Erhalt der FFH-Richtlinie und der EU-Vogelschutzrichtlinie einzusetzen. Sie hätten sich „im Kern bewährt und sind dringend notwendig, um das Artensterben aufzuhalten“, betont der Landes-Naturschutzminister Alexander Bonde (Grüne). Auch er fordert, die Überprüfung dürfe die bestehenden Standards nicht aufweichen.

Noch bis zum 24. Juli können sich auch die Bürger an dieser Befragung beteiligen, entweder über die Homepage des Nabu oder direkt bei der EU.