Die Initiative Stay ging in die Offensive. Sie warb jetzt dafür, dass minderjährige Schüler und Auszubildende hierbleiben dürfen. Davon hätten auch ihre Arbeitgeber Vorteile.

Stuttgart - Ein Topf voller Lose verspricht in der Regel immerhin eine kleine Gewinnchance. Doch der Lostopf, mit dem Mitarbeiter der Initiative Stay am Mittwochnachmittag auf Passanten vor der Domkirche Sankt Eberhard in der Stuttgarter Innenstadt zugehen, enthält keinen einzigen Gewinn. Denn die Lose sind mit Schicksalen von Jugendlichen bedruckt, die den Kampf gegen die Abschiebung verloren haben. So wie Leijla, die gemeinsam mit ihrer Familie Deutschland verlassen musste, obwohl die Familie mit mazedonischen Wurzeln seit 25 Jahren hier geduldet war. Die Realschule konnte Leijla nicht mehr beenden.

 

Die Stay-Initiatoren wollen die Passanten auf der Königstraße mit den Losen wachrütteln. Und sie wollen sie über die Petition informieren, mittels der erreicht werden soll, dass Minderjährige künftig vor der Abschiebung bewahrt werden. Vor allem, wenn sie eine Schule besuchen oder eine Ausbildung absolvieren.

Die Aktion in Stuttgart war ein Anfang

„Nicht nur die Abschiebung an sich, sondern auch die ständige Angst davor ist ein Problem für die Jugendlichen“, erklärt Martin Hurter, Bildungsreferent des Verbands Katholische Studierende Jugend (KSJ). Hurter gehört zu den Gründern der Initiative, die im Sommer 2018 begonnen hat und nun an die Öffentlichkeit geht. Neben der KSJ beteiligen sich auch die Jugendverbände der Caritas Stuttgart und Ulm, die Jugendorganisation des Deutschen Gewerkschaftsbunds, der Ausbildungscampus Stuttgart sowie die Initiative Arrival Aid und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Weitere Partner sind laut den Verantwortlichen willkommen.

Im Mittelpunkt steht eine Petition gegen die Abschiebung Minderjähriger im Bildungsverlauf, die das Stay-Team dem Bundesinnen- und dem Bundesbildungsministerium vorlegen will. Aktionen wie die auf der Königstraße, bei der die Verantwortlichen an einem Stand über die Forderungen der Petition informieren, sollen in weiteren Städten Baden-Württembergs folgen. „Wir bereiten eine Art Leitfaden vor, an dem sich Teams in anderen Städten für ihre Aktionen orientieren können“, erklärt Nadja Wenger, Leiterin von Young Caritas Stuttgart. Zum offiziellen Start ging auch die Website www.aktion-stay.info online. Ähnliche Initiativen wie Stay gibt es bereits in anderen Bundesländern.

Die Initiative fordert mehr Menschlichkeit

Doch allein schon in Baden-Württemberg ist die Zahl abgeschobener Minderjähriger laut Hurter hoch. 2017 waren es rund 1000. Das habe das Regierungspräsidium Stuttgart auf Anfrage von Stay mitgeteilt. Das kürzlich von der Bundesregierung verabschiedete sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz, das schnellere Abschiebungen ermöglicht, könnte die Situation verschärfen.

Hurter berichtet von nächtlichen Razzien in Flüchtlingsunterkünften, getrennten Familien und Schülern, die mitten in der Prüfungszeit das Land verlassen mussten. Darum fordert Stay auch einen menschlicheren Umgang mit Geflüchteten, vor allem aber die Berücksichtigung der Kinderrechte. Außerdem sollen junge Geflüchtete die Schule besuchen oder eine Ausbildung absolvieren dürfen – ohne die Angst vor der drohenden Abschiebung.

„Die Abschiebung während der Ausbildungszeit betrifft auch den Arbeitgeber und hat Auswirkungen auf die freie Wirtschaft, wenn Lehrstellen unbesetzt bleiben“, sagt Wenger. Das bestätigt das Los eines ehemaligen Bäckerlehrlings aus Somalia, der nach eineinhalb Jahren seine Ausbildung abbrechen und in sein Heimatland zurückkehren musste. Nicht nur er leidet unter der Entscheidung, sondern auch der Bäckereibesitzer, der die Stelle bisher nicht neu besetzen konnte. Dementsprechend gilt für beide Seiten: Man hat dadurch etwas verloren.