Fallen die Regeln bei Daimler für internationale Einsätze doch unter die Mitbestimmung? Nach dem Erfolg eines Mitarbeiters vor Gericht lässt der Gesamtbetriebsrat das jetzt prüfen – reichlich spät, wie Kritiker meinen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Unterliegen die Regeln für Mitarbeiter, die Daimler ins Ausland entsendet, der Mitbestimmung? Das will der Gesamtbetriebsrat unter Führung von Michael Brecht jetzt grundsätzlich klären lassen. Man habe die Frage, ob bei der „Going-Global-Richtlinie“ Mitbestimmung bestehe, jetzt „in die gemeinsamen betriebsverfassungsrechtlichen Gremien mit der Unternehmensleitung eingebracht“, sagte eine Sprecherin Brechts unserer Zeitung. Beide Seiten hätten Rechtsanwälte beauftragt, die rechtlichen Fragen zu prüfen; dies dauere an. Daimler wollte sich dazu auf Anfrage nicht äußern; „kein Kommentar“, hieß es lediglich.

 

Auslöser der Prüfung ist der Fall eines Auslandsmitarbeiters, der sich gegen die konzernweiten Regeln für die Besteuerung von „Expats“ gewehrt hatte. Dabei ging es um die Steuern auf private Einkünfte, die Daimler über eine Steuerberatungsgesellschaft in den Entsendeländern mit abführt und später von den Mitarbeitern zurückfordert. Vor dem Bundesarbeitsgericht erreichte der Kläger, dass er gut 3000 Euro weniger an Daimler erstatten muss als verlangt. Der Versuch, auch die Frage der Mitbestimmung gerichtlich zu klären, war dabei ohne Erfolg geblieben.

Schon früh den Betriebsrat eingeschaltet

Daimler hatte den Vorgang als Einzelfall eingestuft und die von dem Mitarbeiter geforderten umfassenden Konsequenzen abgelehnt. Auch dessen Hinweis auf die Mitbestimmung war abgewiesen worden. In einem vom Personalvorstand Wilfried Porth in Auftrag gegebenen Schreiben an ihn hieß es: „Seien Sie zudem versichert, dass wir selbstverständlich bestehende Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats achten, dass aber auch die Betriebsräte in der Daimler AG vollständig in der Lage sind, selbstständig die Wahrung ihrer Mitbestimmungsrechte zu überwachen.“

Daran hatte der klagende Mitarbeiter erhebliche Zweifel geäußert. Bereits 2014 habe er sich an den damals noch von Erich Klemm geführten Gesamtbetriebsrat gewandt. Dieser habe zwar bestätigen lassen, dass man häufig mit dem Thema Auslandssteuern konfrontiert sei, es aber keine Möglichkeit der Mitbestimmung gebe. Darauf habe er sich verlassen. Später, so der Mann, hätten ihm fünf profilierte Arbeitsrechtler bestätigt, dass sehr wohl Mitbestimmung bestehe.

Mitarbeiter sollen Regeln verstehen können

Das sieht auch der Stuttgarter Arbeitsrechtsexperte Stefan Nägele so. Die Regeln zur Besteuerung der Auslandsmitarbeiter auf der Grundlage inländischer Verträge seien „eindeutig mitbestimmungspflichtig“, sagte er unserer Zeitung; die Betriebsräte müssten sich damit befassen und sich sachkundig machen. Zudem gebe es „Handlungsbedarf bei der Vertragsgestaltung“: die angewandte Methode zur Ermittlung der Steuern auf private Einkünfte müsse so erklärt werden, dass die Mitarbeiter sie auch verstünden. Anstelle der pauschalen Berechnung müssten sie „korrigierend eingreifen können“ und eine für sie günstigere Berechnungsart durchsetzen können.

Auch eine Vertreterin der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) im Gesamtbetriebsrat, Ulrike Schwing-Dengler, hatte die „andauernde Untätigkeit und das vielsagende Schweigen“ des Gremiums kritisiert. Leider habe es Brecht „nicht für nötig erachtet, klar Stellung zu beziehen“. Die Sprecherin Brechts nannte die Kritik „schwer nachvollziehbar“; Schwing-Dengler habe das Thema in den Sitzungen des Gesamtbetriebsrats nicht angesprochen. Die CGM-Frau sagte, sie habe die Frage der Mitbestimmung aber bereits 2015 bei einem Mitglied des Gremiums hinterlegt.

Laut der Sprecherin des Gesamtbetriebsrates wird die gesamte Going-Global-Richtlinie unter dem Aspekt der Mitbestimmung geprüft; die Besteuerung sei nur einer von mehreren Punkten. Sollte festgestellt werden, dass die Regeln der Mitbestimmung unterlägen, werde eine weitere inhaltliche Ausarbeitung erst nach der Betriebsratswahl im März erfolgen.