Frauke Jessen-Narr von der Fachstelle Unterstützte Kommunikation der Diakonie Stetten schreibt Texte so um, dass Menschen mit Behinderung deren Inhalt und Kontext verstehen können. Wie das aussieht, zeigt sie auf dem Besinnungsweg.

Fellbach - Menschen mit Behinderung „haben ein Recht darauf, dass ihnen alle Informationen so verständlich wie möglich vermittelt werden“, heißt es im Vorwort zum „Ratgeber für leichte Sprache“, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Zusammenarbeit mit dem „Netzwerk Leichte Sprache“ herausgegeben hat.

 

Bei der Diakonie Stetten gibt es seit ein paar Jahren die Fachstelle Unterstützte Kommunikation

Leichte Sprache, heißt es in dem 125-seitigen Regel- und Nachschlagewerk, „ist ein entscheidender Schlüssel, dass Menschen mit Behinderung gut informiert werden und selbstständig am gesellschaftlichen Leben teilhaben können“. Zu unterscheiden sei zwischen „leichter“ und „einfacher“ Sprache, letztgenannte ist eine Vereinfachung der normalen Sprache. Bei erstgenannter geht es mehr um das Verständnis des Inhalts.

Bei der Diakonie Stetten gibt es seit ein paar Jahren die Fachstelle Unterstützte Kommunikation: Frauke Jessen-Narr übersetzt gewissermaßen Texte und Sachverhalte in eine leichte Sprache. Sie formuliert bereits bestehende Texte so um, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten, die nicht so gut lesen können oder auch geistig behindert sind, die Zusammenhänge verstehen. Jetzt hat sie für den Förderverein Besinnungsweg Fellbach erstmals bereits existierende Texte und Erläuterungen für drei Kunstwerke in leichte Sprache übersetzt.

Zu den Regeln der leichten Sprache gehört, dass kurze Worte und keine Fremdwörter verwendet werden

Bei der leichten Sprache werden Sachverhalte und Begriffe ausführlich erklärt und mit Beispielen erläutert. Eine Übersetzung in leichte Sprache „ist nicht leicht“, sagt Frauke Jessen-Narr, die jetzt zum ersten Mal Texte, die sich mit Kunst beschäftigen, in leichter Sprache formuliert hat. Eine Premiere, die nicht einfach war, die ihr jedoch viel Freude bereitet habe, weil sie selbst kunstaffin sei. Am Sonntag werden die Texte nun bei einer inklusiven Führung mit behinderten Menschen auf dem Besinnungsweg in Oeffingen vorgetragen. Es ist keine leichte Thematik, ein Versuch für alle Beteiligten.

Eigentlich ist Frauke Jessen-Narr Ergotherapeutin. 20 Jahre lang hat sie in der Betreuung von Schwerstbehinderten gearbeitet, mit ihnen automatisch in leichter Sprache gesprochen und jetzt eine Zusatzausbildung absolviert.

Beim Kunstwerk „Zeit“ auf dem Besinnungsweg war die Herausforderung groß

Die Hausordnung und die Heimverträge der Diakonie wurden bereits neu formuliert. Die Texte werden dadurch viel länger, die Sätze selbst kurz und die zusammengesetzten Substantive durch Media-Punkte getrennt geschrieben und dadurch besser lesbar. Zu den Regeln der leichten Sprache gehört, dass kurze Worte und keine Fremdwörter verwendet werden. „Wir benutzen viele Wiederholungen“, sagt Jessen-Narr, „wir bilden positive und aktive Sätze, vermeiden Konjunktiv und Genitiv und machen in jedem Satz nur eine Aussage.“ So wird beispielsweise „morgen könnte es regnen“ zu „morgen regnet es vielleicht“. Beim geschriebenen Text soll die Schriftgröße mindestens 14 Punkte betragen, der Zeilenabstand größer sein und jeder neue Satz mit einer neuen Zeile beginnen.

Beim Kunstwerk „Zeit“ auf dem Besinnungsweg war die Herausforderung groß: Wie beschreibe ich die Funktion einer „Sonnenuhr“ und wie den Umstand, dass die Sonnenuhr von Inge Mahn in der umgekehrten Reihenfolge funktioniert?

Jessen-Narr hat lange gefeilt und formuliert, immer wieder Worte ausgetauscht und Sätze kürzer gemacht. Jetzt erklärt sie die Sonnenuhr so: „Eine Sonnen·uhr zeigt die Tages·zeit mit Hilfe der Sonne an. Eine Sonnen·uhr funktioniert so: Der Zeiger ist meist ein Stab. Der Schatten vom Stab fällt auf ein Ziffer·blatt. Am Ziffer·blatt kann man die Uhrzeit ablesen. Wie bei einer richtigen Uhr. Der Schatten vom Stab ist der Zeiger.“

Neues Format auf dem Besinnungsweg bei Oeffingen

Der Förderverein Besinnungsweg Fellbach bietet zur Remstal-Gartenschau neben den geführten Radtouren über den gesamten Weg einmal im Monat eine Tour an einer ausgewählten Station an. Anschließend gibt es noch eine Bewirtung von Vereinsmitgliedern. So wird es auch am Sonntag, 15. September, sein. Beginn ist um 14 Uhr am Besinnungsort „Zeit“. Dennoch wird die Führung an der von Künstlerin Inge Mahn 2001 geschaffen Station diesmal anders sein.

Zeit

Der Nachmittag steht unter dem Thema „Zeit erfahren für alle“. Das ist wörtlich gemeint, denn sowohl die Führung am Kunstwerk als auch die einführenden Worte werden in „leichter Sprache“ angeboten, außerdem wird in Gebärden erklärt. Der Weg ist barrierefrei, sodass wirklich alle teilnehmen und die Erläuterungen verstehen können.

Spannung

Paul Rothwein, Vorsitzender des Fördervereins Besinnungsweg, und Vereinsmitglied Karlheinz Hirsch erwarten „eine spannende Sache“. Sie arbeiten seit Monaten an der Umsetzung dieses neuen Formats und werden von der Stadt Fellbach und der Diakonie Stetten unterstützt. Bei der Diakonie wurden die das Kunstwerk erläuternden Texte bei der Fachstelle „Unterstützte Kommunikation“ in leichte Sprache übersetzt. „Außerdem wollen wir an Spielstationen „Zeit“ erleben“, macht Hirsch neugierig. Das Duo „Parisi und Schützinger“ begleitet die Veranstaltung mit Musik.

Inklusion

Wer Lust auf mehr hat, kann ab 15 Uhr noch den Besinnungsort „Erinnern/Vergessen“ von Tamás Trombitás aus dem Jahr 2009 besuchen; auch hier wird in leichter Sprache und mit Gebärden erläutert. Der Weg dorthin ist barrierefrei. „Das ist gelebte Inklusion“, freut sich Karlheinz Hirsch. Bei einer gelungenen Premiere an diesem Sonntag könnte es künftig regelmäßig Führungen in leichter Sprache auf dem Besinnungsweg nordöstlich von Oeffingen geben.