Korntal-Münchingen treibt die Inklusion weiter voran. Derzeit konzentriert sich die Kommune auf Eltern und ihre Sprösslinge mit besonderem Förderbedarf und Behinderung, die einen Kitaplatz suchen. Eine Idee der Stadtverwaltung kommt gut an – die Umsetzung nicht.

Zeitweise war die Stadt landkreisweit die einzige mit einer ehrenamtlichen kommunalen Inklusionsbeauftragten. Andrea Käufer ist seit fast zwei Jahren im Amt. Wie wichtig es Korntal-Münchingen ist, dass jeder in der Stadt dazugehört, zeigt auch der jüngste Vorstoß. „Wir nehmen das Thema sehr ernst und haben ein großes Paket geschnürt, um ein Zeichen zu setzen“, sagt der Erste Beigeordnete und neu gewählte Bürgermeister, Alexander Noak.

 

Die Stadt will die Inklusion für Kinder im Vorschulalter vorantreiben. Sie will eine Informations-, Anlauf- und Vermittlungsstelle für Familien einrichten, die ein Kind mit besonderem Förderbedarf und Behinderung haben und einen Kitaplatz suchen. Das Ziel sei, für das Kind den besten Lernort zu finden, sagt Catharina Vögele, die Leiterin des Fachbereichs Familie, Bildung und Soziales. Und weiter, die UN-Kinderrechtskonvention und das Grundgesetz im Blick: „Alle Kinder haben das Recht auf soziale Teilhabe, die nicht zuletzt durch den Besuch einer wohnortnahen Kindertageseinrichtung verwirklicht werden soll.“ So weit die Theorie.

Bereitschaft reicht oft nicht aus

Die Realität sieht häufig anders aus. Catharina Vögele sagt, die grundsätzliche Bereitschaft zur Inklusion sei zwar bei allen Kitas vorhanden, Bereitschaft allein reiche aber oft nicht aus. „Es ist nicht einfach, die Rahmenbedingungen zu ermöglichen, damit ein Kind mit besonderem Förderbedarf und Behinderung eine Kita in Wohnortnähe erlebt“, sagt die Fachbereichsleiterin – zumal das Betreuungssystem fast überfordert sei und Fachkräfte fehlen würden.

Hier kommt der Verein Sportplatz ins Spiel. Das Kinder- und Familienzentrum soll nach der Vorstellung der Stadtverwaltung in Kooperation mit dieser die Funktion der IAV-Stelle übernehmen. Zunächst für drei Jahre und bei einem Zuschuss von 15 000 Euro im Jahr, um Familien zu beraten und zu lotsen, betroffene Familien zu vernetzen, eine Selbsthilfegruppe zu etablieren oder Fachstellen mit ins Boot zu holen.

Stadtverwaltung will Erfahrungsschatz sichern

Sportplatz betreibt in Münchingen die Sportkita Sportnest – wo die IAV-Stelle angesiedelt werden soll – und die Krippe Sportnestchen. „Kinder mit Inklusionsbedarf sind im Sportnest gut aufgehoben“, sagt Catharina Vögele. Familien mit inklusiven Kindern würden „Kolleginnen mit besonderer Kompetenz“ vorfinden. „Diesen Erfahrungsschatz will die Verwaltung im Interesse aller betroffenen Familien nun mittelfristig sichern.“ Im Sportnest sind derzeit drei Kinder mit Inklusionsbedarf, in den städtischen Kitas sind es neun. Die Verwaltung geht davon aus, dass zwischen zwölf und 18 Familien im Stadtgebiet leben, bei denen Kinder einen besonderen Förderbedarf haben.

Dass es eine Anlaufstelle geben soll, befürworten die Inklusionsbeauftragte wie die Gemeinderäte. Ordentlich Gegenwind erhält die Stadtverwaltung aber dafür, dass die Stelle bei einem privaten Träger angesiedelt sein soll. Deshalb denkt sie nun erneut nach und setzt sich dazu auch mit der Inklusionsbeauftragten und dem Verein Sportplatz zusammen. Bis es einen neuen Vorschlag gibt, ist dieses Thema vertagt.

Inklusionsbeauftragte: Neutralität nötig

Ein „klares Nein“ kommt von der Inklusionsbeauftragten Andrea Käufer und ihrer Stellvertreterin Anne Graser. Beide arbeiten mit Eltern und ihren behinderten Kindern und haben mit der Stadtverwaltung einen Leitfaden für die Aufnahme von Mädchen und Jungen mit Handicap in Kitas erstellt. „Es ist eine neutrale Anlaufstelle nötig. Dann können sich die Eltern mehr öffnen“, sagt Anne Graser. Ihrer Erfahrung nach gehören „solche Gespräche nicht in den privaten Raum“. Warum eine Außenstelle, wenn beim Thema Kitaplatz seit jeher die Fäden im Rathaus zusammenlaufen?, fragt Anne Graser. „Eltern brauchen für die Kitazeit einen dauerhaften Ansprechpartner.“

Grüne, SPD und CDU sind ähnlicher Ansicht. Sie betonen zudem die Notwendigkeit von Behördenstrukturen, Verträgen, Kooperationen mit Fachstellen und eines Überblicks etwa über alle Kitas in der Stadt. Dahingegen wollen FDP und Freie Wähler „das Know-how“ des Sportvereins nutzen. Der sich laut dem Ersten Beigeordneten Noak als erster Träger in der Kommune mit Inklusion befasst und fortgebildet hat.

Sportverein äußert Bedauern

Die Vorsitzende Bettina Weinmann betont, der Bedarf sei „deutlich und definitiv nicht abgedeckt“. Betroffene Eltern würden eine adäquate Begleitung vermissen, in den Kitas teilweise negative Erfahrungen machen, Ablehnung erleben. „Ihr Weg ist zu den Sorgen, die sie haben, gepflastert mit Frust und Enttäuschung.“ Sie bedaure sehr, so Weinmann, „dass wir gerade die Reihen der Inklusionsmitarbeiterinnen nicht als Unterstützer ansehen dürfen, sondern eher als Konkurrenz wahrgenommen werden“. Und selbst wenn der Verein dieses Amt anfangs kommissarisch übernehme, um Zweiflern einmal mehr zu zeigen, „dass wir nur tun, was wir können, dann ist ab sofort für diese Familien gesorgt“. Jeder andere Weg könnte laut Weinmann Jahre dauern.

Ein Ja erhält der Wunsch der Verwaltung, zwei Stellen für Integrationsfachkräfte in städtischen Kitas in einer höheren Entgeltgruppe als vorhanden zu schaffen. So wird honoriert, dass die Kraft „besonders schwierige Tätigkeiten“ ausübt, wenn sie zwei, drei oder mehr Kinder zugleich betreut. Freie und kirchliche Träger bekommen ein Budget von 30 000 Euro pro Jahr, um aufzustocken.