In Bad Cannstatt soll ein Modellstandort für inklusives Lernen entstehen. Damit behinderte und nicht behinderte Schüler unter guten Bedingungen gemeinsam lernen können, zahlt die Kommunalpolitik sechs Millionen Euro mehr für den Campus.

Stuttgart - Das Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium und die benachbarte Eichendorff-Werkrealschule in Bad Cannstatt werden zu einem Modellstandort für innovative Lernkonzepte ausgebaut – eine Premiere für Stuttgart. Erstmals können zwei Schulen durch die Neubauten so gestaltet werden, dass dem gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülern von vornherein Rechnung getragen wird. Doch dies bedeutet insgesamt rund 1200 Quadratmeter mehr im Raumprogramm. Der Verwaltungsausschuss hat am Mittwoch die Weichen dafür gestellt. Die Ratsfraktionen bekannten sich mit Ausnahme der Freien Wähler alle uneingeschränkt zu dem erweiterten und neuartigen Raumkonzept. Dieses verteuert die Schulneubauten um insgesamt sechs Millionen Euro auf 59 Millionen Euro.

 

Der Kämmerer Michael Föll hat die Beschlussvorlage, über die am Donnerstag der Gemeinderat beschließt, nicht mitgezeichnet. Denn es gibt bisher keinerlei Vorgaben vom Land, wie Inklusion räumlich und logistisch umzusetzen ist. Die derzeit gültigen Schulbauförderrichtlinien stammen aus den 60er Jahren und entsprechen schon lange nicht mehr den pädagogischen Erfordernissen.

Inklusion als Alleinstellungsmerkmal

Doch mit neuen Bestimmungen rechnet Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann frühestens 2016: „Die Gefahr, dass das Land einen Schnellschuss macht, halte ich für ausgeschlossen.“ Sie argumentiert aber: „Es ist heute schon wichtig, Raum für inklusive Beschulung zu schaffen.“ Die ohnehin notwendigen Schulneubauten am Bad Cannstatter Schulstandort böten dafür eine einzigartige Chance. Die Bürgermeisterin betont jedoch: „Wir haben dieses Thema mit dem Regierungspräsidium abgestimmt.“

In einem moderierten Planungsprozess hatte zuvor das Schulverwaltungsamt gemeinsam mit den beiden Schulgemeinden und unter externer Begleitung die Raumprogramme für die beiden Schulen entwickelt und sich auch an zahlreichen Beispielen aus der Praxis vor Ort informiert. Denn zukunftsorientierte Raumkonzepte sowie Ganztagsschule erfordern auch anders gestaltete Schulgebäude mit flexiblen Lehr- und Lernzonen, aber auch Pflege- und Rückzugsräume für Schüler mit Handicap sowie für Lehrer, die den ganzen Tag an der Schule sind. Zusätzliche Räume werden auch durch die Kooperation beider Schulen mit der Musikschule benötigt.

Alle sind dafür

Im Verwaltungsausschuss fand das Vorhaben große Zustimmung. „Zu einer zeitgemäßen Pädagogik gehören die Ganztagsschule und die Inklusion“, sagte Vittorio Lazaridis (Grüne) – „wenn das keine Sprechblasen sein sollen, muss man das auch ausführen.“ Schließlich gehe es nicht um eine flächenhafte Umsetzung, sondern darum, einen Modellstandort vernünftig auszustatten. Dass sich ein Gymnasium und eine Werkrealschule zur Inklusion bekennen, sei ein Alleinstellungsmerkmal. Auch Iris Ripsam (CDU) fand lobende Worte für das Modellprojekt: „Da muss man eine Entscheidung für die Zukunft treffen.“ Zumal, da die Grundlagen für die Bemessung des Raumprogramms „sehr nachvollziehbar“ seien und „an Realität und Fakten orientiert“ seien. „Dort können wir das Thema Inklusion auf den Weg bringen“, so Ripsam weiter. Auch die Kooperation mit der Musikschule sei schlüssig.

Lob kam auch von Marita Gröger (SPD): „Sie haben ein gutes Planungskonzept gewählt: nämlich Praktiker einzubeziehen und Workshops zu machen.“ Künftig, bat Gröger, sollten doch auch die Stadträte eine Einladung zu den Informationsreisen erhalten – was Eisenmann zusagte. Auch der Standort der beiden Schulen sei wegen seiner guten öffentlichen Anbindung ideal für Inklusion, so Gröger. Die Stadträtin betonte aber: „Von Anfang an war klar, dass Inklusion einen Mehrbedarf an Räumen mit sich bringt.“

Rockenbauch (SÖS/Linke): „Es geht nicht um Luxusvarianten“

Dies sieht Jürgen Zeeb (Freie Wähler) nicht ganz so: „Wir tun uns noch ein bisschen schwer“, räumte er im Blick auf die hohen Investitionskosten für die Inklusion ein, die zehn Prozent der Gesamtbaukosten betrügen. Er bat, das Raumprogramm noch einmal detailliert zu prüfen.

Bernd Klingler (FDP) hingegen erkannte den großen Wurf: „Hier investieren wir mal richtungsweisend in etwas: Bei einem Modellversuch sollten wir optimale Rahmenbedingungen schaffen.“ Und von der Kooperation mit der Musikschule profitierten ja auch andere Kinder aus dem Stadtteil. Hannes Rockenbauch (SÖS/Linke) wurde noch deutlicher: „Es geht nicht um Luxusvarianten für einen Modellstandort, sondern um Notwendigkeiten: Zwei Schulen setzen hier mutig ein Zeichen.“

Auch die Schulbürgermeisterin zeigte sich ob des Zuspruchs der Fraktionen für das kostenträchtige Konzept begeistert. Dies, so Eisenmann, sei „ein tolles Signal in den Campus dieser Schulen hinein“.