Fast das ganze Team der Menschen mit Handicap hat beim Vertrieb von Brot für die Welt in Echterdingen neu angefangen. Die meisten von ihnen können dem Wandel mittlerweile etwas abgewinnen, nur einer fremdelt noch.

Leinfelden-Echterdingen - Die Rampe ist im gleißendem Licht der Wintersonne zunächst gar nicht zu erkennen. Direkt neben dem Naturmöbelhaus Innatura führt sie in einen Raum voller Kartons und Waren: in den zentralen Vertrieb von Brot für die Welt. In der Hochsaison, die im August wieder beginnt, werden an der Karlsruher Straße 11 bis zu 250 Päckchen pro Tag gepackt und an Kirchengemeinden und Privatpersonen in ganz Deutschland verschickt. Der Inhalt: Hefte, Schriften, Bestellzettel und Spendentüten des Entwicklungswerks der evangelischen Kirchen. Werbeartikel wie Traubenzucker, Gummibären, Kugelschreiber oder auch fair gehandelte Schokolade gilt es zuvor nach bestimmten Wünschen zusammenzustellen.

 

Die Filderwerkstatt, die behinderten Menschen eine Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht, unterstützt im Echterdinger Norden diesen Warenumschlagplatz. Gerade aber ist Saure-Gurken-Zeit, wie Alois Fischer, einer der Mitarbeiter, sagt. In dieser Zeit übernimmt die Werkstatt mit ihren Beschäftigten Montage-Aufträge anderer Firmen.

Ein Zimmer weiter entfernt sitzt fast das gesamte ehemalige Team des Stettener Cap-Marktes zusammen. Sechs der sieben Mitarbeiter mit Handicap, die bis Ende 2019 in dem einzigen Lebensmittelladen, den es auf der Weidacher Höhe noch gibt, gearbeitet hatten, haben hier neu angefangen. Die meisten können dem Wandel mittlerweile auch etwas abgewinnen. So hat ein Mann nun endlich einen Arbeitsplatz im Sitzen. „Das ist besser für meinen Rücken“, sagt er. Der Mitarbeiter drückt kleine Schaumstoff-Teile aus einem großen, das der Form nach einem Fisch gleicht. Eine Art Polster mit Löchern entsteht, das für Autositzheizungen gebraucht wird.

Weil es weitergehen muss

Ihm gegenüber klebt Nino Kube, eine zierliche Frau mit schwarzem Haaren und freundlichem Lächeln, Aufkleber auf Kartuschen für Feuerlöscher. Eine Kartusche nach der anderen nimmt sie aus dem Karton, langsam und doch zielstrebig. „Irgendwann habe ich mir gesagt, es muss weitergehen“, sagt sie. Mittlerweile weiß sie: „Ich komme hier jeden Tag gerne her. Ich bin glücklich.“ Wie fast alle aus ihrem Team, will Nino Kube gar nicht mehr zurück in den Lebensmittelhandel und auch nicht zurück nach Stetten, und das, obwohl in den Räumen des Cap-Marktes dieser Tage ein Bonus-Markt seine Pforten geöffnet hat. Sein Träger, die Gemeinnützige Gesellschaft für Schulung und berufliche Reintegration (SBR), hatte den Männern und Frauen angeboten, dorthin zurückzukehren.

Allein Jürgen Eckert, groß gewachsen und kräftig, fremdelt noch mit seinem neuem Aufgabengebiet. „Ich war so froh, dass ich im Stettener Cap-Markt schaffen durfte“, sagt er rückblickend. Schon 2001 hatte er mitgeholfen, die Regale einzuräumen, damit der Laden überhaupt seine Pforten öffnen konnte. Er war der Hauptkassier des Stettener Cap-Marktes. Schnell, schnell die Waren bezahlen und noch rasanter in Tüten packen, das gab es bei ihm nicht. Bei ihm konnten die Kunden ein Schwätzchen halten und sich die Zeit nehmen, die sie eben brauchen. Auch wenn sich dann eine Warteschlange gebildet hat. „Entschleunigung an der Kasse“ – nennt Klaus Korschinek, Leiter der Filderwerkstatt, diesen für den Einzelhandel und die heutige Zeit doch eher ungewöhnlichen Vorgang. „Es muss ja auch nicht immer alles im Akkord passieren.“

Dann aber stand die Zukunft des Marktes auf der Kippe. Der bisherige Träger, der Reha-Verein im Landkreis Esslingen, hatte sich entschlossen, diesen Laden genauso wie weitere Cap-Märkte in Kirchheim und Neuhausen an eine gemeinnützige GmbH zu übertragen. Für diesen Neuanfang erhoffte man sich die finanzielle Unterstützung seitens der jeweiligen Kommunen. Keine einfache Sache, vielmehr ein Prozess, der sich in die Länge gezogen hat.

Das Herz hat nicht richtig mitgespielt

Die Kunden haben Jürgen Eckert in dieser Zeit viele Fragen gestellt: „Bleiben Sie? Wie geht es weiter? Sie können doch nicht schließen: Wo sollen wir alten Menschen denn nun einkaufen gehen?“ Er sagt: „Die Situation hat mich sehr belastet.“ Dann ergänzt er: „Der Cap-Markt war mein Herzensladen.“ Irgendwann hat dann seine Pumpe nicht mehr so mitgespielt, wie sie sollte. Anfang Dezember kam er mit Herzrhythmusstörungen ins Krankenhaus. Erst vor wenigen Wochen hat Jürgen Eckert wieder zu arbeiten angefangen: in Echterdingen, nicht mehr in Stetten und nicht mehr im Einzelhandel.

Den Bonus-Markt, der seit Kurzem die Nahversorgung auf der Weidacher Höhe sichert, will sich Jürgen Eckert auch mal anschauen gehen. „Doch, ich werde mal hingehen“, sagt er. Ganz überzeugt klingt das nicht. Fest steht: Für ihn ist eine Ära zu Ende gegangen. „Die Trauerarbeit in der gesamten Werkstatt ist noch nicht abgeschlossen“, sagt Klaus Korschinek.