Der TV Nellingen und der FC Esslingen wollen ein inklusives Angebot für Fußballer mit Handicap etablieren. Die Voraussetzungen sind nicht schlecht, denn es gibt bereits feste Trainingszeiten, einen Coach und Mitspieler ohne Behinderung.

Ostfildern - Fußballverrückt ist Martin Wegener, seit er denken kann. Selbst gegen den Ball zu treten, ist dem 38-Jährigen aus Ostfildern freilich nie vergönnt gewesen und daran wird sich auch nichts ändern. Denn nach einem frühkindlichen Sauerstoffmangel ist er schwer behindert und auf einen schweren Elektrorollstuhl angewiesen. Dennoch ist der bekennende Fan der Stuttgarter Kickers seiner Leidenschaft noch ein Stück näher gekommen, denn er hat gemeinsam mit dem TV Nellingen und dem FC Esslingen (FCE) ein Fußballtraining initiiert, bei dem behinderte und nichtbehinderte Kicker im Stadion des TV Nellingen (TVN) gemeinsam dribbeln, grätschen, schießen, flanken und lachen.

 

Rund die Hälfte der Kicker haben ein Handicap

„Rollstuhlfahrer können nicht Fußball spielen“, sagt Martin Wegener, um sogleich anzufügen, dass sie immerhin als Helfer oder Teambetreuer mit von der Partie sein können. Und sei es nur, wenn sie sich als „Ballträger oder Trikotwascher“ einbringen. Oder als Ideengeber für ein Projekt, das auf seinen Vorschlag kürzlich ins Leben gerufen wurde: ein inklusives und integratives Fußballtraining für Sportler mit und ohne Behinderung. Neben dem TV Nellingen und dem FC Esslingen konnte Wegener, der im „Wohnhaus“, einer Behinderteneinrichtung im Scharnhauser Park lebt, das Ostfilderner „Forum Gesellschaft inklusiv“ gewinnen, welches punktuell durch das Bundesprogramm „Partnerschaft für Demokratie“ unterstützt wird.

Zum zweiten Trainingsabend sind rund 20 Fußballer zu der von den Trainern Sven Walz und Patrick Schibat angeleiteten Übungseinheit im Nellinger Stadion aufgelaufen. Gut die Hälfte von ihnen haben ein Handicap, viele von ihnen arbeiten in den Neckartalwerkstätten oder in den Werkstätten Esslingen-Kirchheim. Ihre Trainingspartner ohne Handicap sind unter anderem aktive Kicker der TVN-Fußballabteilung und des FC Esslingen. Es ist offensichtlich, dass es allen Beteiligten der bunt gemischten Truppe Spaß macht, den Ball durch die eigenen Reihen laufen zu lassen, zu kombinieren und den Gegenspieler mit dem ein oder anderen Trick zu narren.

Einer von ihnen ist der 13-jährige Julius Raisch. Er ist mit dem Downsyndrom zur Welt gekommen, hat an diesem Abend eine VfB-Trainingsjacke an und ist ein versierter Dribbler, der unter anderem auch am Jugendtraining des FCE teilnimmt. Für Martin Hägele, den Sportvorstand des FCE, „muss es selbstverständlich werden“, in den Vereinen offene Angebote zu initiieren, bei denen „jeder mitspielen kann“. Es müsse Bereiche geben, in denen das Motto „weg vom Leistungsgedanken, hin zum Miteinander und zur Teilhabe“ gelte.

Hobbyfußballer sollen gewonnen werden

Das sieht auch Tobias Schramek, der Geschäftsführer des TV Nellingen, so. „Wir wollen vor allem nichtbehinderte Hobbykicker für das inklusive Projekt gewinnen“, sagt er und wirbt damit, dass sie in den Genuss eines „guten Trainings“ kämen. Zudem könne es durchaus bereichernd sein, mit gehandicapten Menschen gemeinsam Sport zu treiben. Zu der Trainingsgruppe könne „jeder, der möchte dazu stoßen – egal, ob mit oder ohne Behinderung“. Zunächst werde das Training alle vier Wochen angeboten, es soll aber auf einen 14-tägigen Termin ausgebaut werden, hofft Schramek darauf, dass sich das Angebot etabliert. Dass es möglich ist, zeigt sich in der Nachbarschaft: Beim TSV Musberg in Leinfelden-Echterdingen gibt es seit vergangenen April ein inklusives Fußballteam.

Gleichwohl ist es ein langer Weg bis hin zu einer Mannschaft wie die der Roten Teufel Ganderkesee. Sie ist das Vorbild für Martin Wegener, durch dieses gemischte Team ist er auf die Idee gekommen, selbst die Initiative zu ergreifen. Denn dieses Fußballteam war 2007 ursprünglich von der Lebenshilfe Delmenhorst im Landkreis Oldenburg (Niedersachsen) gegründet worden. Vor rund sechs Jahren entstanden daraus die Roten Teufel, die inzwischen im normalen Spielbetrieb auf Kreisebene mitmischen. Bis dahin gab es für die Fußballer mit Behinderung nur die Möglichkeit, in einer Behinderten-Fußball-Liga zu kicken.