Wenn die F-Jugend des Vereins am Kräherwald trainiert, kann sie auf einen jungen Mann zählen, der mit Leib und Seele Teil der MTV-Familie ist. Ole Haberstroh spielt selbst seit den Bambini für den Club – und er hat dort im vergangenen Sommer eine Ausbildung zum Junior-Coach begonnen. Das Ungewöhnliche daran: Der 16-Jährige hat eine geistige Einschränkung. Es handelt sich um ein inklusives Projekt, für das der MTV Stuttgart den Vereinsehrenamtspreis des Württembergischen Fußball-Verbands erhält. Er ist dessen Gewinner im Bezirk Stuttgart/Böblingen.
Im Gespann mit Otto Birk unterstützt Haberstroh die Bambini und die F-Jugend, auch bei der D-Jugend ist er regelmäßig am Spielfeldrand. An diesem Freitag stehen die Sieben- bis Neunjährigen auf dem Programm: Rund 15 Kicker haben sich auf dem kleinen Kunstrasenplatz am Kräherwald eingefunden. Haberstroh verteilt Leibchen, kickt den Ball ins Spiel und steht den Kids zur Seite. „Ich helfe denen, die Schwierigkeiten beim Schießen und Tricksen haben“, sagt er, „es geht aber vor allem darum, Spaß am Fußball zu haben.“ Und der ist dem Nachwuchs anzumerken. „In der Weihnachtsbäckerei“ trällert aus der Musikanlage, und alle jagen im Pulk dem Ball hinterher. „Taktik oder so gibt es hier nicht viel“, kommentiert Haberstroh gut gelaunt.
Für den jungen Mann, der in die zehnte Klasse der inklusiven Torwiesenschule in Heslach geht, ist der MTV Stuttgart so etwas wie sein zweites Zuhause. Seit fast zehn Jahren verbringt er dort viele Stunden. „Man findet hier schnell Freunde, und ich mag einfach Fußball“, begründet Haberstroh seine Begeisterung für den Club. Er selbst spielt als Torwart in der B-Jugend. Ansonsten liest er in seiner Freizeit gerne Jugendbücher, allen voran „Die drei Fragezeichen“.
Zwei Freunde an der Seitenlinie
Haberstroh und sein Trainer-Kollege Birk kennen sich seit der Kindergartenzeit. Dass sein Freund ein wenig anders ist, habe nie eine Rolle gespielt: „Für uns ist Ole einfach Ole“, sagt der 17-jährige Otto Birk, „er braucht zwar länger, manche Dinge zu verstehen, aber dann sitzen sie auch.“ Beide sind Teil der regulären Trainerakademie des MTV, in der aktuell rund 20 Teilnehmer zu Junior-Coaches ausgebildet werden.
„Ole war schon vorher bei vielen Trainingseinheiten dabei und hat das sehr gut gemacht“, sagt Georgios Metaxarakis, Leiter der MTV-Fußballakademie, „im Sommer haben wir dann beschlossen, ihn zusammen mit den anderen auszubilden.“ Regelmäßig nehmen Haberstroh und Birk an Seminaren und Fortbildungen teil, die gemeinsam mit dem Nachwuchsleistungszentrum des VfB Stuttgart organisiert werden. Neben dem Sportlichen stehen Themen wie Kinderpädagogik, Gerechtigkeit und Integration auf dem Plan. Für das Projekt darf der MTV nun am 7. Februar zu offiziellen Preisverleihung nach Herrenberg. „Das Ehrenamt stirbt langsam aus und wir suchen Wege, die Leute bei der Stange zu halten“, sagt Metaxarakis, „deswegen freuen wir uns über die Wertschätzung.“
„Ich will ein Vorbild sein“
Für Ole Haberstroh spielt die Auszeichnung nur eine untergeordnete Rolle. Im Mittelpunkt stehe vielmehr die Zeit auf dem Sportplatz. „Ich will ein Vorbild sein“, sagt er – für die Kinder, aber auch für andere Menschen mit Behinderung. Eines Tages möchte der VfB-Fan einmal ältere Jugendklassen trainieren. In seiner persönlichen Entwicklung ist er jedenfalls auf dem richtigen Weg: War er zu Beginn seiner Ausbildung noch nervös, vor den Kindern zu stehen und beim Leiten des Trainings zu helfen, komme mittlerweile immer mehr die Routine. Und wenn die Kleinen mal nicht auf ihn hören, „dann gibt es schon mal eine Ansage“, merkt er mit einem Grinsen an.
Vorurteile und Diskriminierung erlebt Haberstroh laut eigener Aussage nur selten. Das Thema scheint ihn auch nur wenig zu kümmern. Trotzdem hatte er zunächst Bedenken, der Interview-Anfrage unserer Zeitung zuzustimmen. Der Grund: Er wolle nicht als „Mensch mit Handicap“ dargestellt werden. Viel wichtiger ist ihm, zu sagen: Ich bin so wie du.