Die evangelische Kirchengemeinde von Wendlingen und die Bruderhaus-Diakonie bauen ein Gemeindezentrum, das an ein Wohn- und Unterstützungszentrum für Behinderte angeschlossen ist. Vorher stand auf dem Bauplatz die Johanneskirche.

Wendlingen - Das Zentrum von Wendlingen hat sich in den vergangenen Wochen stark verändert. Die Johanneskirche ist – bis auf ihren markanten Turm – verschwunden. An ihrer Stelle entsteht – wie berichtet – ab September ein gemeinsames Projekt der evangelischen Kirchengemeinde und der Bruderhaus-Diakonie Region Stuttgart.

 

23 Menschen mit Behinderung sollen ab April 2022 auf drei Wohnetagen ein Zuhause finden. Durch einen gemeinsamen Eingang mit dem zukünftigen Gemeindezentrum der evangelischen Kirchengemeinde sollen Begegnungs- und Teilhabemöglichkeiten geschaffen werden.

Lebendige Kirchengemeinde

Pfarrer Peter Brändle hob am Montag in einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Projektes hervor, dass es genau diese gelebte Inklusion sei, die ihn vor einem Jahr dazu bewegt habe, sich auf die Pfarrstelle in Wendlingen zu bewerben. „Viele Menschen haben sonst den Eindruck, die Kirche befände sich auf dem Rückzug“, sagte Brändle. Das sei nicht der Fall. „Aber wir können als Kirchengemeinde nicht mehr warten, bis die Menschen zu uns kommen. Die Zeit ist vorbei. Wir müssen dahin gehen, wo die Menschen sind.“ Und die sind nun einmal in der Stadtmitte.

Brändle wünscht sich, dass künftig zum Beispiel an Markttagen kleine Angebote im Gemeindezentrum möglich sind. Zudem träumt er von einer regelmäßigen Nutzung der Dachterrasse, beispielsweise für Zusammenkünfte zum Feierabend. „Wir wollen den Eindruck vermitteln, dass hier eine Kirchengemeinde entsteht, die lebt“, so Brändle.

Inklusion als Haltung

Ob sie denn wüssten, was für Menschen sie sich in ihr Gebäude holen würden, seien die Kirchengemeinde und die Stadtverwaltung mehrfach gefragt worden. Menschen mit Behinderung fielen auf, seien oft nicht leise. Aber das sollen sie auch nicht sein. Wie Bürgermeister Steffen Weigel betonte, will man behinderte Menschen vom Rand der Gesellschaft, an den sie immer noch oft verbannt würden, wortwörtlich in die Mitte der Gesellschaft holen.

Auch Bärbel Greiler-Unrath, die als Diakonin bei der Kirchengemeinde arbeitet, findet, Inklusion darf nicht nur „ein Projekt sein, das man irgendwann wieder sein lässt“. Es komme darauf an, gemeinsam die Verschiedenheit zu gestalten, zu leben und zu genießen.

Betreuung rund um die Uhr

„Ich freue mich, dass unsere Worte nun zu Taten werden“, sagte Ute Schwarzkopf-Binder, die Leiterin der Bruderhaus-Diakonie Region Stuttgart. Sie spielte damit auf den Leitspruch des Stifters Gustav Werner an: „Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert.“ Für sie schließt das neue Wohn- und Unterstützungsangebot in Wendlingen eine wichtige Versorgungslücke im Landkreis Esslingen. Viele behinderte Menschen würden derzeit außerhalb des Landkreises betreut, weil sie dem Angebot gefolgt seien. „Aber wenn wir von dezentralisierter Unterbringung reden, sollten die Menschen eigentlich dort Unterstützung finden, wo sie leben“, so Schwarzkopf-Binder.

Im September soll der Grundstein für die beiden miteinander verbundenen Gebäude gelegt werden. 70 Prozent der Rohbauarbeiten seien mittlerweile schon ausgeschrieben worden. Der Gebäudeteil der Bruderhausdiakonie ist 1426 Quadratmetern größer als der der Kirchengemeinde. 3,8 Millionen Euro sind dafür veranschlagt. 1,46 Millionen Euro werden laut einem Zuwendungsbescheid vom Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) zugeschossen. Im Wohnbereich sind drei Wohnungen für je sechs Menschen sowie fünf Einzelwohnungen geplant. Im Erdgeschoss gibt es einen Gemeinschaftsbereich, wo tagesstrukturierende Angebote wahrgenommen werden können. Das ist zum Beispiel für Bewohner gedacht, die keiner Arbeit nachgehen. Damit auch Menschen mit einem hohen Betreuungsbedarf einziehen können, wird die Einrichtung rund um die Uhr von Mitarbeitern der Bruderhaus-Diakonie betreut.

Heimatarbeit für die Gemeinde

Für den Gebäudeteil der Kirchengemeinde sind 3,6 Millionen Euro vorgesehen. Zuschüsse gibt es von der evangelischen Landeskirche in Württemberg und vom Kirchenbezirk Nürtingen. Unter dem gleichen Dach finden sich ein 132 Quadratmeter großer sakraler Raum, in dem Gottesdienste möglich sind, sowie diverse Büros – beispielsweise des Kantorats, der Kirchenpflege, des Diakonats. So seien alle kirchlichen Ansprechpartner unter einem Dach. Das verbessere die Kommunikation und schaffe eine Präsenz der Kirche, „wo man uns nicht suchen muss“, wie es Hans-Georg Class vom Kirchengemeinderat ausdrückte. Neben Sitzungs- und Gruppenräumen gibt es auch eine Wohnküche mit Gartenzugang sowie eine Saalküche für Caterer. Zudem haben auch Privatpersonen oder Vereine die Möglichkeit, Räume für Veranstaltungen zu nutzen.

Für die Kirchengemeinde, die noch im Begriff ist, aus zwei Gemeinden zusammenzuwachsen, ist der Neubau ein wichtiges Zeichen, „dass hier etwas Gemeinsames entsteht“, so Class. Es müsse Heimatarbeit betrieben werden, um gut im neuen Gemeindezentrum anzukommen. Es gelte, den selbst verursachten Schmerz des Kirchenabrisses zu heilen.