Die Beweislage für einen Verbotsantrag der NPD sei solide, sagen Sicherheitsexperten. Allerdings ist unklar, ob die belastenden Dokumente wirklich „sauber“ sind und nicht von Spitzeln stammen. Doch viele Länder wollen dafür keine Gewähr übernehmen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Warnemünde - Das Hotel Neptun in Warnemünde wirbt mit „legendärem Charme und bester Aussicht“. Der Reklamespruch ist neu, aber die Herberge stammt noch aus Zeiten, als kantige Betonblöcke als mondän galten. In dem markanten Hochhaus am Ostseestrand erörtern die Innenminister von Bund und Ländern an diesem Mittwoch die Aussichten für ein NPD-Verbot. Diese haben sich in den vergangenen Monaten nach Ansicht von Sicherheitsexperten erheblich verbessert. Seit Mai haben Polizei und Verfassungsschutz 2649 Belege zusammengetragen, die beweisen sollen, dass die 1964 gegründete rechtsextreme Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und die freiheitliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland „aggressiv-kämpferisch“ bekämpft. Das sind die beiden Voraussetzungen für ein Verbot, über das Verfassungsrichter in Karlsruhe letztendlich zu entscheiden hätten.

 

Der erste Versuch, die NPD zu verbieten, war 2003 gescheitert

Das belastende Material stamme ausschließlich aus offen zugänglichen Quellen und nicht von staatlichen Spitzeln („Vertrauensleuten“) aus der Szene. Der erste Versuch, die NPD zu verbieten, war 2003 gescheitert, weil das Bundesverfassungsgericht damals den Eindruck gewonnen hatte, die braune Partei sei von V-Leuten komplett unterwandert und werde regelrecht fremdgesteuert. Deshalb hatten sich Bund und Länder im Frühjahr 2012 darauf verständigt, ihre Spitzel zumindest aus den Führungsetagen der NPD vorerst nicht mehr zu kontaktieren und als Beweismaterial zur Begründung eines neuerlichen Verbotsantrages keine Berichte aus solchen Quellen zu benutzen.

Alle Länder versichern, sich an diese Vorgaben gehalten zu haben. Allerdings war der Versuch des Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich (CSU), sich von seinen Länderkollegen schriftlich bestätigen zu lassen, dass ihre Belege „sauber“ seien, offenbar nicht von Erfolg gekrönt. Nur einzelne Ministerkollegen fanden sich bisher bereit, ein solches Testat zu unterschreiben, mit dem sie unter Umständen die Verantwortung für das erneute Scheitern eines Verbotsverfahrens auf sich nehmen würden. Sie wollen solche Testate erst abgeben, wenn ein Verbotsantrag formuliert wird.

Der skeptische Innenminister bewertet das Material als „valide“

Mehr als die Hälfte der Beweise hat ohnehin der Bund zusammengetragen. Weitere 30 Prozent stammen aus Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, zwei Ländern, in denen die NPD besonders viele Anhänger hat und auch im Parlament sitzt. Auch der skeptische Bundesinnenminister bewertet das Beweismaterial als „sehr gut und valide“. Aus der Spitze seines Ministeriums heißt es, die Sicherheitsbehörden hätten „diesmal keinen Murks“ veranstaltet.

Experten aus der Behörde kommen zu dem Schluss: „Mit dem Material, das wir liefern, kann man die NPD verbieten.“ Zudem weiß auch Friedrich, dass der Verzicht auf einen Verbotsantrag nach dieser aufwendigen Recherche von der NPD propagandistisch ausgeschlachtet würde. Sie könnte mit Fug und Recht behaupten, eine ungeschriebene Unbedenklichkeitserklärung erhalten zu haben.

Präzedenzfälle gibt es nur zwei

Friedrichs Bedenken zielen eher auf die juristischen Tücken des Verfahrens. Präzedenzfälle gibt es nur zwei – und beide liegen mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. 1952 wurde die Sozialistische Reichspartei verboten, eine Nachfolgeorganisation von Hitlers NSDAP, 1956 die sowjethörige KPD. Wegen der Pleite mit dem ersten Versuch eines NPD-Verbots seien die Hürden eher gewachsen, befürchten Friedrichs Berater. Zudem verweisen sie auf die „inkonsistente Rechtsprechung“ des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in solchen Angelegenheiten (siehe Artikel unten).

Die Skeptiker, von denen es auch einzelne unter den Ministerpräsidenten der Länder gibt, betonen, dass die braune NPD ohnehin eine „absterbende Partei“ sei. Man könne nicht ernsthaft behaupten, dass diese Splittergruppe staatsgefährdend sei, sagt ein Regierungschef aus dem Lager der Union. „Die sind hässlich, übel, ärgerlich – aber müssen wir sie deshalb gleich verbieten? Dann müssten wir vieles verbieten.“

Das Verfahren wird wohl anderthalb Jahre dauern

Wenn der Entschluss für ein neues Verbotsverfahren steht, könnte es sehr schnell gehen. Lorenz Caffier, CDU-Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern und aktuell Vorsitzender der Innenministerkonferenz, rechnet mit einem Verbotsantrag im ersten Halbjahr 2013. Das Verfahren selbst werde aber sicher anderthalb Jahre dauern. Wenn ein Verbot erfolgt, könnte das Vermögen der NPD konfisziert werden. Die Partei hätte keinen Anspruch mehr auf staatliche Zuschüsse, sie dürfte nicht mehr öffentlich werben und zu Veranstaltungen oder Demonstrationen laden.