Reinhold Gall hat als Innenminister eine seit dem "schwarzen Donnerstag" nicht ganz einfache Aufgabe - und braucht dafür Kompetenz und Fingerspitzengefühl.

Stuttgart - Es lag nahe, dass Reinhold Gall zum Innenminister avancieren würde, sollte die SPD in Baden-Württemberg irgendwann einmal wieder die Macht erlangen. Erstens kann die Partei auf ihre Tradition im Innenressort verweisen; mit Walter Krause und Frieder Birzele stellte die SPD einst bedeutende Minister. Zweitens wies Gall als innenpolitischer Sprecher und parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion eine gewisse Bekanntschaft mit dem im Innenministerium gebündelten Themenkreis auf. Hatte er doch zusammen mit seinem Kollegen Hans-Ulrich Sckerl von den Grünen dem CDU-Amtsinhaber Heribert Rech im Parlament jahrelang Paroli geboten.

 

Doch nach der gemeinsam mit den Grünen gewonnenen Landtagswahl im vergangenen März hatte Gall eigentlich anderes im Kopf. Sein Sinn stand nach dem Fraktionsvorsitz. Denn es sprach einiges dafür, dass Fraktionschef Claus Schmiedel das Wirtschaftsministerium übernehmen würde, der Posten also frei würde. Es kam anders. SPD-Chef Nils Schmid fusionierte das Finanz- mit dem Wirtschaftsressort unter der eigenen Führung, Schmiedel hielt es für angezeigt, den Fraktionsvorsitz - eine Schlüsselposition im Koalitionsgefüge - weiter innezuhaben.

"Ich bin nicht der bessere Einsatzleiter"

So zog Gall ins Innenministerium ein - und übernahm damit eine zumindest seit dem "schwarzen Donnerstag" besonders prekäre Aufgabe. Denn einen ähnlich verunglückten Polizeieinsatz wie an jenem 30.September 2010 würde eine grün-rote Koalition nur schwer überstehen. Galls Polizei muss das Demonstrationsrecht der Bahnhofsgegner respektieren, zugleich aber auch Rechtstreue einfordern. Das erfordert neben Kompetenz auch Fingerspitzengefühl. Der Innenminister, was bleibt ihm auch anderes übrig, steht zu seinen Leuten: "Ich bin nicht der bessere Einsatzleiter", sagt er. "Wir müssen denen, die vor Ort Verantwortung tragen, ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen."

Dabei ist ihm bewusst, dass am Ende er es ist, der politisch haftet. Die Absperrung des Bahnhofsüdflügels ging dieser Tage immerhin friedlich vonstatten. Gall konnte erst einmal aufatmen.

Dass die SPD bei der Regierungsbildung auf das Innenministerium zugreifen sollte, stand für Gall außer Frage. Kernkompetenzen des Landes sind dort angesiedelt: vorneweg die Polizei und der Verfassungsschutz, aber auch das Beamtenrecht, Bürgerbeteiligung, die Kommunalverfassung oder das Asylrecht. Das Innenministerium gehört zu den klassischen Ressorts, und sein Minister geht ohne Weiteres als klassischer Sozialdemokrat durch. Der 55-Jährige aus dem Obersulmer Ortsteil Sülzbach (Landkreis Heilbronn) ist von Beruf Fernmeldehandwerker. Er ist kein Schöngeist, kein Schönredner, eher einer, der das Leben von der praktischen Seite nimmt. In einer in weiten Teilen durchakademisierten Politik muss das kein Fehler sein.

Schon in seiner Jugend engagierte sich Gall für die Sozialdemokraten

Gall stammt aus einem Milieu, in dem der Weg in die SPD nicht weit war. Sein Vater war gelernter Wagner. "Ich habe als Kind erfahren, dass man als Arbeiter richtig viel tun muss, um eine Familie mit vier Kindern zu ernähren", sagt er. In seiner Jugend leitete er eine evangelische Jugendgruppe, die örtliche Jungschar des CVJM. Gall erzählt: "Damals haben wir mitgekriegt, dass ein neuer Spielplatz gebaut werden sollte. Wir sprachen in der Jugendgruppe darüber, wie wir uns den Spielplatz wünschen. Eine Tischtennisplatte zum Beispiel fanden wir gut, so eine stand damals noch nicht in jeder Garage. Wir haben Pläne entworfen, bemalten Plakate, marschierten zum Bürgermeister. Das wurde dann auch so gemacht." Und weil der Zug nach Heilbronn immer "gerammelt voll mit Schülern" war, hat er sich außerdem für einen zusätzlichen Waggon eingesetzt. Auch dies mit Erfolg. "Da hab ich gemerkt, dass man etwas erreichen kann."

Den Sozialdemokraten am Ort blieb dieses Engagement nicht verborgen. Sie sprachen den jungen Gall an. So kam er über eine Tischtennisplatte und einen Eisenbahnwaggon in die Politik. Noch als Lehrling trat er in die Gewerkschaft ein, später wurde er zum Personalrat gewählt. Kommunale Mandate folgten. Er wurde Ortsvorsteher von Sülzbach, wechselte 1989 als Regionalgeschäftsführer auch hauptberuflich zur SPD und gelangte 2001 erstmals in den Landtag. Von sich reden machte er, als er, bereits zum Minister ernannt, als Feuerwehrmann zum Löscheinsatz eilte.

Aufgabenbereiche des Innenministers

Das Innenministerium birgt für die SPD durchaus Fährnisse. Die SPD versteht sich als Freiheitspartei. Ein Innenminister jedoch verkörpert immer auch das Gewaltmonopol des Staates. Keiner hat das so geschickt verstanden wie einst Otto Schily, der von den Grünen zur SPD gestoßen war und für Kanzler Gerhard Schröder als Bundesinnenminister erfolgreich dafür sorgte, dass beim Thema Sicherheit nichts anbrannte. Ins Gedächtnis gebrannt hat sich vielmehr das Foto, das Schily mit einem Polizeihelm auf dem Kopf und einem Schlagstock in der erhobenen Amt zeigt.

"Herr Gall, akzeptieren Sie es, als Minister für Law and Order bezeichnet zu werden?" Gall überlegt, dann erwidert er: "Sicherheit ist eine Kernaufgabe des Staates. Ich möchte unter Beweis stellen, dass die Menschen im Land wissen, dass das Thema Sicherheit bei der SPD gut aufgehoben ist." Und was Otto Schily angehe: "Der hat nicht die schlechtesten Umfragewerte gehabt." Gall spricht von der Balance, die es zu halten gelte: hier der Anspruch auf Wahrung der Freiheitsrechte, dort das Bedürfnis nach Sicherheit. Das wolle er "sauber diskutieren". Keineswegs stelle er die Freiheitsrechte hintan. Aber seine Position markiert er schon: "So viel Vertrauen sollten wir dem Staat und seinen Behörden schon entgegenbringen, dass es ihm nicht darum geht, unschuldige Bürger auszuspähen." Die Polizei benötige einfach ihr Handwerkszeug, um Straftaten aufzuklären - oder besser noch: zu verhindern.

Arbeit gibt es für Gall genug

Über mangelnde Beschäftigung kann sich Gall nicht beklagen. Er musste sich mit dem Thema Staatstrojaner herumschlagen, er setzte sich für die Vorratsdatenspeicherung ein, dann kam die Debatte um ein neuerliches NPD-Verbot auf. Im Prinzip ist er dafür. Wegen der V-Leute werde ein Verbot an Baden-Württemberg nicht scheitern, sagt er. Dem Alkoholverbot an kommunalen Brennpunkten ist er nähergekommen. Teile der Grünen sind dagegen, auch die Jusos. Gall sagt: "Innerhalb einer Regierungskoalition steht man nicht morgens auf - und alle haben den gleichen Gedanken." Mitunter ist er auch direkter: "Es ist in der Regierungskoalition wie in der Verwandtschaft; da gibt's auch welche, die nerven." Doch fügt er hinzu: "Es liegt auch an mir, Schritt für Schritt zu überzeugen." Viel reden, das gehöre zum Regierungsgeschäft.

Seine derzeit wichtigste Baustelle neben Stuttgart 21 aber ist die Polizeireform. Gall geht von dem nüchternen Befund aus, dass er angesichts der unumgänglichen Haushaltskonsolidierung nicht mit mehr Geld rechnen kann. Immerhin schaffte er es, die Einstellungsquote bei der Polizei zu erhöhen: 1200 statt 800 junge Menschen fanden Aufnahme. Das ist auch nötig. Bis zum Jahr 2020 gehen fast 40 Prozent der Polizisten in den Ruhestand. Nun will er die Organisation so umkrempeln, dass mehr Beamten in den Streifendienst kommen. Es geht um geänderte Dienstpläne, aber auch um die Zusammenlegung von Polizeidirektionen. Ärger ist programmiert. Die CDU wird es sich nicht nehmen lassen, vor Ort den Widerstand der kommunalen Amtsträger zu mobilisieren.

Klarmachen für den Bewusstseinswandel

Ob ihm eine Koalition mit der CDU nicht lieber gewesen wäre? Gall windet sich, nennt die Frage "gemein". Aber dann gibt er eine überraschend klare Antwort. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die Grün-Rot eingeleitet habe - die Gemeinschaftsschule zum Beispiel und die ökologische Erneuerung -, "hätten wir mit der CDU nicht hingebracht". In einem Land, in dem ein bedeutender Teil der Bevölkerung immer noch CDU-geprägt und konservativ sei, "haben wir jetzt die Chance, einen echten Bewusstseinswandel zu schaffen". Er wolle sich anstrengen, "dass die Menschen sehen, es geht auch mal was ohne die CDU, und zwar in die richtige Richtung".